Beeindruckende Metamorphose in drei Etappen: In der Schlosskapelle des Dresdner Schlosses klingt es wieder
10.11.2025, 12:30 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)
Vom Aschenputtel zur bezaubernden Schönheit: Die ehemalige Schlosskapelle im Dresdner Residenzschloss hat sich in mehreren Metamorphosen zu einem baulichen Juwel verwandelt. Sie erstrahlt nach Jahren des Wiederaufbaus und der kunstvollen Rekonstruktion in neuem Glanz und lädt ihre Gäste zu Veranstaltungen und Führungen ein.
Finanzminister Christan Piwarz übergab heute in Anwesenheit des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Dr. Wolfram Weimer, sowie Sachsens Kulturministerin Barbara Klepsch feierlich den Schlüssel an Dr. Bernd Ebert, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD).
Metamorphose in drei Etappen
Was 1988 als schlichter Rohbau begann, ist heute ein architektonisches Meisterwerk von unvergleichlicher Schönheit. Über Sandstein, Glas und Beton spannt sich scheinbar schwerelos das rekonstruierte Schlingrippengewölbe – ein filigranes Spiel aus Licht, Linie und Struktur. Es entstand zwischen 2010 und 2013 in einem weltweit einmaligen Rekonstruktionsprozess.
Fachleuten gelang es erstmals, ein mittelalterliches Schlingrippengewölbe nach originaler Technik neu zu errichten – mit handgestrichenen Ziegeln und doppelt gekrümmten Sandsteinrippen, die Geschichte, Handwerkskunst und Vision zu einem beeindruckenden Raumerlebnis vereinen.
Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien Dr. Wolfram Weimer würdigte die Bedeutung der Schlosskapelle für Kultur und Gesellschaft: »Das Dresdner Residenzschloss und seine Museen sind fundamentaler Bestandteil deutscher und europäischer Kulturgeschichte. Sie machen Dresden zu einer Kulturmetropole von Welt. Und das Residenzschloss ist mehr als Schönheit. Es zeigt deutsche Geschichte in ihrer ganzen Komplexität: künstlerische Pracht und Blüte, Zerstörung und Wiederaufbau, Verlust und Erneuerung. Was wir hier heute auch feiern, ist die Exzellenz dieses Projekts. Die Rekonstruktion des Residenzschlosses ist eine magische Symbiose aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, eine einzigartige Verschmelzung von Handwerk, Technik und Wissenschaft im Dienst unseres kulturellen Erbes. Das Ergebnis ist ein internationales Aushängeschild der Kulturnation Deutschland.«
Finanzminister Christian Piwarz betonte die generationenübergreifende Bedeutung des Projekts: »Die rekonstruierte Schlosskapelle mit ihrem nun erfolgten Ausbau schlägt eine Brücke zwischen Tradition und Moderne. Die Kapelle ist ein Gemeinschaftswerk und war, wie der Wiederaufbau des Dresdner Residenzschlosses, eine Generationenaufgabe. Ich lade alle Interessierten herzlich ein, sich zum Tag der offenen Schlosskapelle am 15. November selbst ein Bild von der weltweit einmaligen Handwerkskunst zu machen.«
Die Rekonstruktion des Gewölbes legte den Grundstein für die nächste Phase ihrer Verwandlung: Mit finanzieller Unterstützung des Bundes begann ab Anfang 2023 der Ausbau der Schlosskapelle zu einem multifunktionalen Veranstaltungsraum für 270 Besucher. Nach knapp drei Jahren Bauzeit können nun Kunst und Kultur einziehen und das steingewordene Zeitdokument in voller Pracht erklingen lassen.
Kulturministerin Barbara Klepsch hob die kulturelle Strahlkraft und den Wert der Rekonstruktion hervor: »Mit der Schlosskapelle gewinnt das Dresdner Residenzschloss ein Juwel zurück, das die Vielfalt und Strahlkraft sächsischer Kultur auf eindrucksvolle Weise widerspiegelt. Sie wird Gäste aus aller Welt in den Freistaat ziehen, die sich für Geschichte, Architektur, Musik und Kultur begeistern. Und sie wird zeigen, wie Sachsen seine Vergangenheit nicht nur bewahrt, sondern lebendig macht.«
Dr. Bernd Ebert, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, wies auf die zukünftige Nutzung als Ort für Musik und Veranstaltungen hin: »Nach Fertigstellung der Schlosskapelle erhält die SKD einen in Dresden einzigartigen und atmosphärisch unvergleichbaren Ort der Begegnung zurück. Einen Ort des kulturellen Austausches, einen Ort für Musik, für wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs sowie für private Veranstaltungen. Dies ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Vollendung des Residenzschlosses als einmaliges architektonisches Ensemble im Herzen Dresdens.«
Bedeutende Teile des gesamten Wiederaufbaus des Dresdner Residenzschlosses wurden erst durch die Unterstützung des Bundes möglich. An den 8,4 Millionen Euro für den nun erfolgten Ausbau der Schlosskapelle beteiligte sich der Bund mit 3,75 Millionen Euro. Zusammen mit dem Einbau des Schlingrippengewölbes kostete die Wiederherstellung der Schlosskappelle rund 12 Millionen Euro.
Bis zur Fertigstellung aller Bereiche des Dresdner Residenzschlosses im Jahr 2027 investieren der Freistaat Sachsen und der Bund voraussichtlich rund 407 Millionen Euro in den Wiederaufbau – ein nachhaltiges Bekenntnis zu Sachsens kulturellem Erbe.
Besichtigung und Buchungen
Ab dem 19. November kann die Schlosskapelle im Rahmen von Führungen besichtigt werden. Diese finden von Mittwoch bis Freitag jeweils um 15:00 Uhr sowie Samstag und Sonntag jeweils um 11:30 und 15:00 Uhr statt. Die Termine und Tickets sind online unter https://shop.skd.museum/offentlicher-rundgang-schlosskapelle.html?date=2025-11-07 buchbar.
Tag der offenen Schlosskapelle
Am Samstag, den 15. November 2025, lädt der Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement von 10:00 bis 16:30 Uhr zum Tag der offenen Schlosskapelle ein. Projektbeteiligte geben vor Ort Einblicke in Bau, Architektur und Musik.
'''Der Eintritt ist frei, der Zugang erfolgt über den Hausmannsturm/ Chiaverigasse.
Eine Anmeldung ist nicht notwendig. Mit Wartezeiten ist zu rechnen.'''
Hintergrund: Die drei Etappen des Wiederaufbaus
Die Schlosskapelle im Dresdner Residenzschloss entspricht handwerklich und materiell ihrem Vorbild aus der Renaissance von 1550. Da das Bauwissen jener Zeit überwiegend mündlich überliefert wurde, stand den Fachleuten nur eine begrenzte Anzahl Quellen zur Verfügung. Zwar existieren noch einige Grundrisszeichnungen und Stiche sowie einzelne Gewölbe aus der Zeit, die für die Forschungen herangezogen werden konnten. Die wesentliche Grundlage für die Wiederherstellung bildete jedoch ein Kupferstich des Künstlers David Conrad aus einem Gesangbuch von 1676.
Bereits 1983 legten die sächsischen Denkmalpfleger eine Zielstellung für den Wiederaufbau des Dresdner Residenzschlosses vor, in der auch die Rekonstruktion der Schlosskapelle verankert war. Ihre räumliche Kubatur und Gestalt erhielt die Kapelle 1988 im Zuge der ersten Wiederaufbauarbeiten am Schloss zurück.
Nach einem Intermezzo als Ausweichspielstätte für das Kleine Haus des Staatsschauspiels Dresden von 1998 bis 2005 begannen 2007 unter Leitung des Staatsbetriebes Sächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB) die Planungen für den Innenausbau. Dieser erfolgte in zwei Etappen.
Die erste Etappe war der Einbau des Schlingrippengewölbes von 2010 bis 2013. Die Schlosskapelle bekam so ihre prägende spätgotische Raumstruktur zurück. Die Wiederbelebung der handwerklichen Fähigkeiten stellte einen weltweit einmaligen Prozess dar.
Fast 500 Jahre nach der ursprünglichen Einweihung wurde damit ein verlorenes Kapitel der Baukunst wieder lebendig.
Fachleuten gelang es, das Schlingrippengewölbe nach traditioneller Technik mit Ziegeln und doppelt gekrümmten Sandsteinrippen von Grund auf neu aufzubauen. Der Einbau des Gewölbes geht auf spätgotische Wölbtechniken zurück. Für den Wiederaufbau konnte ein Team von Planern, Wissenschaftlern, Restauratoren und Baupraktikern das Geheimnis der Bauhütten ergründen. Hier wurde modernste Computertechnik mit traditioneller Handwerkskunst verbunden. Die handgestrichenen Ziegel wurden nach historischem Vorbild und Format hergestellt.
In der zweiten Bauphase, 2023 bis 2025, erfolgte die Rekonstruktion der Emporen, der Sandsteinarchitektur der Längswände sowie die Ausstattung mit modernster Beleuchtung und Tontechnik. Dezente Brüstungen zur Abgrenzung der Seitennischen sorgen heute gleichzeitig für eine ausgewogene Raumbelüftung.
Sämtliche Oberflächen blieben unbehandelt. Weder Sandstein noch Putz wurden gestrichen oder marmoriert. Das Material selbst sollte sprechen. Das Ergebnis ist ein Zeugnis spätgotischer Raumkunst von einmaliger ästhetischer Wirkung.
Rekonstruiert wurden:
• die Orgelempore und die Musikerempore auf der Ostseite
• zwei übereinanderliegende Westemporen mit einem kleinen Schlingrippengewölbe
• sowie die Bogenarchitektur der Nord- und Südseite aus Naturstein
Die wiederhergestellte frühbarocke Musikerempore hatte Heinrich Schütz nach einem Entwurf von Oberlandbaumeister Wolf Caspar von Klengel einbauen lassen. Sie diente einst als Platz für zusätzliche Orgeln sowie für weitere Musiker und wurde nun nach historischen Quellen rekonstruiert.
Über der sogenannten Kurfürstenempore (untere Westempore) schwebt ein zweites, kleineres Schlingrippengewölbe als eine architektonische Inszenierung, die einst der Erhöhung des Kurfürsten Moritz von Sachsen diente. Künftig kann von allen Emporen wieder musiziert und gesungen werden, ganz im Sinne der Kompositionsweisen und Aufführungspraxis von Heinrich Schütz. Er setzte Musiker an unterschiedlichen Positionen im Raum ein, um eindrucksvolle Echo- und Raumwirkungen zu erzielen.
Auch der Eingang zur Schlosskapelle, das berühmte »Schöne Tor«, ist in der europäischen Kunstgeschichte einmalig und ein bedeutendes Zeugnis der Renaissance. Giovanni Maria da Padova schuf den Entwurf, der um 1555 von dem Dresdner Bildhauer Hans Walther II. zusammen mit italienischen Handwerkern ausgeführt wurde. Nach der Entwidmung der Schlosskapelle 1737 wurde das Schöne Tor abgebaut und erlebte eine wechselvolle Geschichte mit Stationen in der Sophienkirche und am Jüdenhof des Johanneums. Im Zuge des Wiederaufbaus kehrte es aufwendig restauriert 2009 an seinen ursprünglichen Platz im Dresdner Residenzschloss zurück.
Hintergrund: Geschichte der Schlosskapelle
Kurfürst Moritz von Sachsen ließ die Schlosskapelle um 1550 als Kirche und Musikstätte im Nordflügel des Dresdner Residenzschlosses errichten. Als Vorbild diente ihm die Torgauer Schlosskapelle, die 1544 von Martin Luther eingeweiht worden war.
Die Weihe der Schlosskapelle erfolgte 1556. Als Hofkapelle eines lutherischen Kurfürsten war sie ein zentrales Symbol der Reformation und zugleich ein Raum höchster musikalischer Bedeutung. Entsprechend aufwendig und kunsthistorisch wertvoll fiel ihre Ausstattung aus.
Kurfürst Moritz von Sachsen ließ hierfür Musiker anwerben und leitete 1548 die Gründung der Sächsischen Staatskapelle, eines der ältesten und renommiertesten Orchester der Welt, ein. Die Schlosskapelle kann insofern auch als Wiege des traditionsreichen Musikensembles bezeichnet werden. Heinrich-Schütz, Hofkapellmeister und einer der bedeutendsten Komponisten des Barock, probte hier seine Werke und brachte diese zu Uraufführungen.
1737 veranlasste die Kurfürstin und Königin Maria Josepha die Entwidmung der Kapelle. Damit endete die sakrale Nutzung des Raumes, der in der Folge in Verwaltungsräume unterteilt wurde. Dafür wurden alle Inneneinbauten und Gewölbe vollständig abgebrochen.
Beim Luftangriff auf Dresden am 13. Februar 1945 brannte das Dresdner Residenzschloss weitgehend aus. Mit der heutigen Wiedereröffnung schließt sich nun der Kreis einer über 500-jährigen Geschichte.