Das Anfertigen von Bild- und Tonaufnahmen durch eine stationär befestigte Videokamera am Connewitzer Kreuz in Leipzig während einer friedlichen Demonstration am 6.4.2019 war rechtswidrig

05.10.2020, 14:31 Uhr — 1. Korrektur (aktuell)

Mit noch nicht rechtskräftigem Urteil vom 15. Juli 2020 - 1 K 737/19 - hat die zuständige 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Leipzig festgestellt, dass im konkreten Einzelfall bei der von der Klägerin angemeldeten Demonstration am 6.4.2019 in Leipzig die Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen in dem Bereich Leopoldstraße/Ecke Wolfgang-Heinze-Straße bis Kochstraße kurz vor Einmündung Scheffelstraße mittels der stationären Videokamera am Connewitzer Kreuz rechtswidrig war.

Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin zeigte unter dem 28.3.2019 als Vertreterin der »Initiative Mieter*innen« eine Versammlung für den 6.4.2019, 12:00 Uhr bis 14:00 Uhr unter dem Motto »Steigenden Mieten die rote Karte zeigen – Für bezahlbaren Wohnraum für alle – Gemeinsam gegen Mietwahnsinn und Verdrängung!«, an, für die etwa 100 Personen erwartet wurden. Die Demonstrationsstrecke führte über einen Teilbereich des Connewitzer Kreuzes, welcher seit dem Jahr 2003 mittels einer stationären an einem Mast befestigten Kamera videoüberwacht wird. Der von der schwenkbaren Kamera im Regelbetrieb abgedeckte Bereich umfasst die unmittelbare Umgebung des Connewitzer Kreuzes mit den angrenzenden Straßenmün-dungen. Die im Vorfeld der Demonstration geäußerte Bitte der Klägerin, während der Versammlung die stationäre Kamera auszuschalten, lehnte die Polizei ab.

Die 1. Kammer hat mit dem o. g. Urteil der Feststellungsklage der Klägerin vom 9.4.2019 stattgegeben. Der Beklagte habe durch die Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen rechtswidrig in das Versammlungsrecht der Demonstrationsteilnehmer gemäß Art. 8 GG eingegriffen. Art. 8 GG garantiert mit der inneren Versammlungsfreiheit die individuelle Entschlussfassung, an der kollektiven Meinungsbildung in freier Selbstbestimmung teilzunehmen. Diese Entschlussfassung müsse freibleiben von Unsicherheit, Angst und Einschüchterungseffekten. Denn wer damit rechnen muss, dass seine Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert wird und ihm dadurch persönliche Risiken entstehen können, werde möglicherweise auf die Ausübung seines Grundrechts verzichten. Aus Sicht eines sog. verständigen Dritten entfalte auch eine fest installierte Kameratechnik zur Überwachung der Örtlichkeit eine Abschreckungswirkung für potenzielle Versammlungsteilnehmer.
Vorliegend sei es der Polizei möglich und zumutbar gewesen, für den kurzen Zeitraum des Durchzugs der friedlichen Demonstration die Bild- und Tonaufnahmen oder -aufzeichnungen auf den außerhalb des Demonstrationsgeschehens liegenden Bereich des Connewitzer Kreuzes zu beschränken. Bei einem Auftreten von Straftaten im zeitweilig nicht videoüberwachten Bereich habe die vorhandene Kameratechnik ohne weiteres und ohne zeitliche Verzögerung wieder eingesetzt werden können.
Zugleich hat die Kammer darauf verwiesen, dass eine andere Rechtslage dann gegeben sei, wenn bei einer Demonstration tatsächliche Anhaltspunkte bestünden, die die Annahme rechtfertigen, dass von den Versammlungsteilnehmern selbst eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei oder im Zusammenhang mit der Versammlung ausgehe. In diesem Fall sei die Anfertigung von Videoaufzeichnungen der Versammlung, anders als in vorliegendem Fall, bereits nach § 20 Abs. 1 SächsVersG gestattet. Soweit individualisierbare Aufnahmen von einem gewaltbereiten Störer gefertigt würden, könnte dieser sich im Übrigen ohnehin nicht auf den Schutz der Versammlungsfreiheit berufen.

Gegen das Urteil steht den Beteiligten die Berufung zum Sächsischen Oberverwaltungsgericht offen.


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