Laudatio des Ministerpräsidenten auf Klaus Töpfer zur Verleihung des Carlowitz-Preises in Chemnitz

06.11.2013, 12:40 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)

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Laudatio des Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich auf Prof. Dr. Klaus Töpfer zur Verleihung des Carlowitz-Preises der Sächsischen Hans-Carl-von-Carlowitz-Gesellschaft am 6. November 2013 in Chemnitz

Es gilt das gesprochene Wort.

Anrede,

die Carlowitz-Gesellschaft ehrt Sie heute für Ihr jahrzehntelanges Engagement für Nachhaltigkeit. Das ist freilich nicht die einzige Parallele zwischen Ihnen und dem Namensgeber des Preises. Sie sind – das ist die erste Verbindung zu Hans Carl von Carlowitz – nicht als klassischer Naturschützer zu diesem Ihrem Lebensthema gekommen. Sie sind von Haus aus Volkswirt und haben ihre akademische Karriere mit einer ökonomischen Fragestellung begonnen: wie regionalpolitische Prämissen die Standortentscheidung von Unternehmen beeinflussen. Sie können heute noch aus dem Stegreif einen Vortrag darüber halten, wie die Höhe des Benzinpreises oder die Pendlerpauschale den Siedlungscharakter einer Region bestimmen.

Auch Hans Carl von Carlowitz war Ökonom und hat durch eine ökonomische Fragestellung zum Thema Nachhaltigkeit gefunden. Vor 300 Jahren drohte eine Wirtschaftskrise. Holzknappheit machte Bergbau und Hüttenwesen, aber auch die Versorgung mit Bau- und Feuerholz teuer. Der Holzmangel gefährdete Arbeitsplätze und verringerte die Kaufkraft der Einkommen.

Für Carlowitz war die Lösung klar: Konsequente Aufforstung, effizientere Öfen und eben nachhaltige Nutzung der Wälder – nur so viel Holz entnehmen, wie dank Aufforstung wieder nachwächst. Allerdings: Heute meint Nachhaltigkeit viel mehr als nur den Wald. Das kann man zum einen daran sehen, dass es in Dresden ein neues Forschungsinstitut der Universität der Vereinten Nationen gibt, das sich mit dem Zusammenhang von Wasser, Boden und Müll beschäftigt. Es hat den schönen Namen UNU-Flores.

Noch weiter gefasst: Nachhaltigkeit beschreibt einen Zustand der Mensch-Umwelt-Beziehungen, in dem wir Menschen nur so viele Ökosystemleistungen verbrauchen, wie die Umwelt wieder bereitstellen kann, und nur so viel Müll an die Umwelt abgeben, dass die uns am Leben haltenden Ökosysteme selbst am Leben bleiben. Das ist Umweltschutz aus ökonomischen Erwägungen heraus – denn es geht darum, die Grundlagen für unser Wirtschaften und Überleben langfristig zu sichern. Damit bin ich bei der zweiten Parallele zwischen Klaus Töpfer und Carlowitz. Wer es mit der Nachhaltigkeit ernst meint, also mit der langfristigen Sicherung unserer natürlichen Lebensgrundlage, der denkt in Generationen, nicht im Rhythmus von Quartalsberichten oder Legislaturperioden.

So wie Carlowitz, der mit der Aufforstung und nachhaltigen Bewirtschaftung der sächsischen Wälder ein Generationenprojekt plante. Wer sich heute wie Klaus Töpfer für Nachhaltigkeit engagiert, dem ist klar: Es geht darum, unsere Umwelt und ihre lebenserhaltenden Funktionen für künftige Generationen zu bewahren oder sogar zu verbessern.

Nun ist die Betonung der langen Frist unbequem. Denn unser Wirtschaftsmodell beruht bisher darauf, kurzfristig den Ressourcenfluss von der Umwelt durch die menschliche Gesellschaft hindurch zu maximieren. Das war schon im Jahre 1713 problematisch, als die menschliche Wirtschaft in Relation zur sie umgebenden Umwelt ein nur geringes Ausmaß hatte – sonst hätte Carlowitz ja nicht sein Buch geschrieben.

Jetzt, 300 Jahre später aber, hat die Menschheit und ihre Wirtschaft ein Ausmaß erreicht, bei dem bereits 60% der Ökosysteme degeneriert, übernutzt oder zerstört sind und deshalb ihre lebenserhaltenden Dienste für die Menschen und anderen Arten nicht mehr erbringen können.

Anders ausgedrückt: Die Menschheit hat schon heute einen Umweltverbrauch, der die Tragfähigkeit der Erde übersteigt. Es gibt Berechnungen, wonach wir derzeit 1,8 Planeten pro Jahr verbrauchen. Und wenn alle sieben Milliarden Menschen so viel verbrauchten wie die Amerikaner, bräuchten wir heute schon die Ressourcen und Ökosystemleistungen von 4 Erden.

Klaus Töpfer ist jemand, der auch solche unbequemen Gedanken zu Ende denkt. Und er sagt: Wir in den reichen Ländern müssen dramatisch weniger verbrauchen und produzieren, damit die Menschen in den armen Ländern es zu nachhaltigem Wohlstand bringen können. Ich meine: Carlowitz würde heute die gleiche Schlussfolgerung ziehen. Ein Hinweis darauf ist, dass er sich auch Gedanken machte über die Verringerung des Holzverbrauchs durch effizientere Öfen. Modern ausgedrückt: Wenn die Ressourcenproduktivität wächst, kann der Ressourcenverbrauch sinken. Allerdings: Klaus Töpfers Nachhaltigkeitsbegriff ist im Vergleich zu dem von Carlowitz ganzheitlich. Er denkt ökonomische, ökologische und soziale Gesichtspunkte zusammen. Das kommt unter anderem daher, dass Sie, lieber Herr Töpfer, am Anfang Ihrer politischen Karriere Staatssekretär im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Umwelt in Rheinland-Pfalz waren. Das war genau in dem Jahr, 1979, als der König des Himalaya-Staats Bhutan auf die Frage eines ausländischen Journalisten nach dem Bruttoinlandsprodukt antwortete, ihn interessiere das Bruttoglücksprodukt seiner Untertanen mehr. Glück, das weiß man aus vielen Studien seither, wächst ab einem bestimmten Niveau von Produktion und Konsum nicht mehr. Wohl aber nehmen dann Dinge zu, die unser Glück verringern, wie Krankheiten durch zu viel Essen, eine verschmutzte Umwelt, oder den psychischen Druck, den das Streben nach immer mehr auslöst. Das ist, im Sinne einer Maximierung des Bruttoglücksprodukts, nicht nachhaltig. Im Hinblick darauf ist es bezeichnend, dass damals Ende der 70er Jahre in Ihrem Mainzer Ministerium Gesundheit, Soziales und Umwelt unter einem Dach vereinigt waren. Das ist eine wesentliche Quelle Ihres ganzheitlichen Verständnisses von Nachhaltigkeit.

Ein Drittes verbindet Sie mit Carlowitz. Er hatte die Idee zu seinem Buch lange mit sich herumgetragen. Auch Sie hatten in Ihrem Leben Ideen, deren Realisierung sehr lange dauerte. Als Sie Bundesumweltminister wurden, war die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl erst ein Jahr her.

Damals, 1988, gab es einen CDU-Parteitag in Bremen. Auf dem wollten Sie einen Leitantrag einbringen, in dem es hieß, ich zitiere:
„Wir müssen eine Zukunft ohne Kernenergie, aber auch mit weniger fossilen Energieträgern erfinden.“ Zitat Ende. Der Leitantrag kam nie zur Abstimmung. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima, wurden Sie von Kanzlerin Merkel als Vorsitzender der Ethikkommission „Sichere Energieversorgung“ berufen. Das Votum der Kommission war jenes, welches beim Bremer Parteitag 1988 nicht mal zur Abstimmung kam: Der Ausstieg aus der Kernenergie. So schloss sich nach 23 Jahren ein Kreis. Und zwischendrin gab es eine steile Lernkurve. 1991 verabschiedete der Bundestag das Energie-Einspeisungsgesetz, den Vorläufer des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Damit begann die deutsche Energiewende in Ihrer Zeit als Bundesumweltminister.

Heute decken wir mehr als ein Fünftel unseres Stromverbrauchs aus erneuerbaren Quellen. Und der Anteil steigt weiter.

Und für die sieben Jahre Ihrer Amtszeit als Bundesumweltminister stehen noch mehr Erfolge zu Buche:

Sie haben das Bundesamt für Strahlenschutz gegründet, für saubere Flüsse gesorgt, das Duale System eingeführt, das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz und das FCKW-Verbot zum Schutz der Ozonschicht durchgesetzt, das Programm „Ökologischer Aufbau“ in Ostdeutschland vorangetrieben und waren nicht zuletzt 1992 der Retter des Erdgipfels von Rio.

Sie haben damit Deutschlands Image als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit geprägt. 1998 wurden Sie Leiter der UNO-Umweltbehörde UNEP. Sie zogen für acht Jahre nach Nairobi. Sie haben dabei viel über Nachhaltigkeit gelernt. Vor allem, dass es oft nicht Technik, sondern eine simple Verhaltensänderung ist, die Nachhaltigkeit schafft.

Ein Beispiel ist die kenianische Friedennobelpreisträgerin Wangari Muta Maathai, die Sie in Nairobi kennenlernten. Sie hatte eine Lösung für die Trockenheit und Bodenerosion in Kenia gesucht – und gefunden. Feigenbäume erreichen mit ihren tiefen, starken Wurzeln Wasserquellen und bringen das kostbare Nass an die Oberfläche. Wangari Maathai gründete 1977 die Grüngürtel-Bewegung. In den folgenden Jahrzehnten wurden in Afrika Millionen Feigenbäume gepflanzt. Bis dahin waren diese Bäume gefällt worden, um Platz für große, intensiv bewirtschaftete Felder zu schaffen, damit die Lebensmittelproduktion wachsen kann. Das hatte zur Folge, dass die Böden austrockneten, vom Wind weggeblasen, vom Regen fortgespült wurden. Hunger und Armut war die Folge. Die Lösung dieses Problems war nicht Wirtschaftswachstum. Sondern das Wachstum der Natur, das Pflanzen neuer Bäume. Carlowitz lässt grüßen.

Meine Damen und Herren,
für Klaus Töpfer haben solche Einsichten eine tiefere Bedeutung.

Er spricht davon, dass die fortgesetzte Aggression gegen die Umwelt auf der Jagd nach Wachstum den Frieden auf der Welt gefährdet – Stichwort: Konflikte ums Wasser. Und er zieht daraus den Schluss: Frieden mit der Natur, also nachhaltige Entwicklung, dient dem Weltfrieden. In diesem Sinne berät er die Regierungen von Entwicklungs- und Schwellenländern. Vor allem aber redet er immer wieder uns in den entwickelten Industrieländern ins Gewissen. Wir hier müssen es schaffen, unseren Wohlstand zu sichern und gleichzeitig den Umweltverbrauch so stark zu reduzieren, dass mehr Umwelt für die armen Länder und deren Entwicklung übrig bleibt.

Wie Klaus Töpfer nicht müde wird zu betonen, ist auch Deutschland nicht durchweg ein Vorbild für nachhaltige Entwicklung. Oder, in Carlowitz‘ Perspektive ausgedrückt: Wir verbrauchen immer noch viel mehr Holz, als nachwächst.

Meine Damen und Herren,
heute gibt Klaus Töpfer seine Erfahrungen mit nachhaltiger Entwicklung als Hochschullehrer und Forscher weiter. Er hat das Nachhaltigkeitsinstitut in Potsdam mitbegründet und ist Professor für nachhaltige Entwicklung an der chinesischen Tongji-Universität. Und an Ruhestand ist für ihn nicht zu denken. Denn die Welt, in der seine Enkelkinder aufwachsen, ist noch lange nicht nachhaltig. Die Carlowitz-Gesellschaft vergibt heute also einen Preis für ein Lebenswerk, das noch lange nicht vollendet ist.

Lieber Klaus Töpfer,
ich gratuliere Ihnen sehr herzlich zur Verleihung des Carlowitz-Preises und wünsche Ihnen für Ihr Engagement weiterhin alles Gute und viel Erfolg.


Kontakt

Sächsische Staatsregierung

Regierungssprecher Ralph Schreiber
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