Tentativliste für UNESCO - Weltkulturerbe

26.06.2012, 13:10 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)

Kabinett benennt die künftigen sächsischen Welterbe-Kandidaten

Das Kabinett hat heute darüber entschieden, welche sächsischen Welterbekandidaten der Kultusministerkonferenz (KMK) zur Aufnahme in die ab 2016 geltende Tentativliste am 1. August 2012 vorgeschlagen werden.
Grundlage für die Entscheidung war die Empfehlung der eigens dafür eingesetzten Expertenkommission. Diese hat aus zehn hervorragenden Bewerbungen eine einvernehmliche Auswahl getroffen.
Vor der Expertenkommission hatten die zehn Welterbekandidaten Gelegenheit ihre Projekte zu präsentieren und sich den Fragen der Experten zu stellen. Die Experten prüften die Erfüllung der Aufnahmevoraussetzungen der UNESCO sowie die Finanzierbarkeit des Projektes und die möglichen Auswirkungen auf die wirtschaftliche und infrastrukturelle Entwicklung der Region.

Innenminister Markus Ulbig: „Wir haben in Sachsen eine einzigartige Natur- und Kulturlandschaft. Die Kommission hatte die Aufgabe aus zehn beeindruckenden Bewerbungen die erfolgversprechendsten Kandidaten auszuwählen. Diese Aufgabe war nicht leicht und die Auswahl wurde mit großer fachlicher Kompetenz getroffen. Auch für die Kandidaten, die nicht auf den ersten Plätzen sind, war das Verfahren zweifellos ein Gewinn. Zum einen gab es in den entsprechenden Orten ein großes Engagement für das jeweilige Projekt, zum anderen liegt jetzt eine fachliche Bewertung vor. Auf dieser Grundlage kann weiter gearbeitet werden.“

Das Kabinett ist mit seiner heutigen Entscheidung der Empfehlung der Expertenkommission gefolgt und wird die folgenden sächsischen herausragenden Bewerber der KMK zur Aufnahme in die deutsche Tentativliste vorschlagen:

Der Freistaat Sachsen benennt für die Tentativliste:

1. „Hellerau – Laboratorium einer neuen Menschheit“
bestehend aus der Gartenstadt, dem Festspielhaus und den historischen Werkstätten

Zwischen 1909 und 1914 wurde auf einem Gebiet von 140 Hektar Architektur- und Theatergeschichte geschrieben. Der damalige Direktor der Hellerauer Werkstätten gründete eine Siedlung mit 800 Gebäuden und einem Festspielhaus. Für einen kurzen aber intensiven Zeitraum war dort das Weltzentrum der Avantgarde.

Es ist eine überaus gelungene Bewerbung. Die immateriellen Themen wie Lebensreformbewegung, neuer Funktionalismus und der bühnenlose Theaterraum verbinden sich repräsentativ mit der Darstellung von Gebäuden. Wir haben hier in der Nähe ein lebendiges Welterbe an authentischen Orten und in authentischer Gestaltung. Gartenstadt und Gebäude des Theaters und der Werkstätten haben weitestgehend ursprünglichen Bestand. Die Gebietskulisse ist überschaubar und damit konfliktarm gestaltet.
Der Antrag lässt sich eindeutig dem materiellen Welterbe zuordnen. Die immateriellen Ideen und die sie repräsentierenden Gebäude stehen außergewöhnlich gut miteinander in Wirkungsbeziehung. Die Kulturdenkmale stehen im Vordergrund der Bewerbung.

2. „Leipziger Notenspur“

Auf einem Rundweg von etwa 5 km Länge werden anhand von Wohn- und Wirkungsstätten großer Komponisten an 23 Stationen 300 Jahre Musikgeschichte erlebbar. Es ist einmalig in welcher räumlichen Dichte die Schaffensstätten und Wohnhäuser weltweit bekannter Komponisten und Musiker sich befinden.

Das musikalische Wirken einer Vielzahl international bedeutsamer Komponisten in Leipzig, wie Telemann, Bach, Mozart, Mendelssohn, Clara und Robert Schumann, Wagner und Berlioz sowie Liszt, Grieg, Lortzing, Mahler und Reger wird deutlich im Antrag herausgearbeitet.

Die Experten haben jedoch darauf hingewiesen, dass die Welterbekonvention nur das materielle Welterbe regelt. Die Musik, die ein immaterielles Kulturgut darstellt, ist jedoch der Mittelpunkt des Antrages. Für einen erfolgreichen Welterbeantrag müssten vielmehr die den außergewöhnlichen universellen Wert der Notenspur repräsentierenden Gebäude im Vordergrund stehen.

Es bleibt der von der KMK beabsichtigten Evaluierung durch eine international besetzte Expertenjury vorbehalten, den Vorschlag dem materiellen Kulturerbe im Sinne der UNESCO-Welterbekonvention oder dem immateriellen Kulturerbe im Sinne der UNESCO-Konvention zum immateriellen Erbe zuzuordnen.

Falls eine Zuordnung zum immateriellen Erbe erfolgen wird, so wird für diesen Fall

als 3. die „Görlitzer Altstadt und gründerzeitliche Innenstadt mit Fokussierung auf die Hallenhäuser mit der „via regia“ vorgeschlagen.

Der Grundriss der Stadt Görlitz zeigt eine lückenlose zeitgeschichtliche städtische Bebauung an der Nahtstelle zwischen Ost- und Westeuropa und zwischen dem 12. und 20. Jahrhundert in verputzter Massivbauweise von ungewöhnlicher Einheitlichkeit. Die Stadt gehört zu einem der größten zusammenhängenden nationalen Flächendenkmale. Von singulärer Authentizität sind die Hallenhäuser. Sie sind die Wohnanlagen der Tuch- und Fernhändler, die dort in einer Vielzahl und mit reicher Ausstattung in spätgotischer-frühneuzeitlicher Zeit entstanden sind.

Der Antragsgegenstand sollte wegen der Überrepräsentanz der Kategorie „Historische Altstadtkerne“ auf die Hallenhäuser in Verbindung mit der „via regia“ fokussiert werden. Auch werden dadurch die bestehenden Konfliktpotentiale minimiert.

Die vorgeschlagenen Bewerbungen der genannten Welterbestätten aus Sachsen haben ein hohes fachliches Niveau. Sie erfüllen die von der UNESCO geforderten Kriterien, insbesondere besitzen sie einen außergewöhnlichen universellen Wert. Darüber hinaus sind bei den Projekten im Hinblick auf die wirtschaftliche und infrastrukturelle Entwicklung der betroffenen Kommunen keine Konflikte zu erwarten.

Schließlich wird auch das Welterbeprojekt

4. „Schloss Hartenfels mit Schlosskapelle/Torgau“ der KMK gemeldet. Als sog. serielle Anmeldung zum schon bestehenden Weltkulturerbe „Luthergedenkstätten in Eisleben und Wittenberg“ in Sachsen-Anhalt kann sie ohne Belastung des Meldekontingents von zwei Stätten für die Tentativliste vorgeschlagen werden.

Schloss Hartenfels als Gesamtanlage ist das gebaute Manifest und das auf dem europäischen Kontinent wirkende Symbol der Lutherischen Reformation und des Humanismus. Die Schlosskapelle, die durch Martin Luther persönlich seiner Bestimmung übergeben wurde, ist das erste Kirchengebäude, das bereits als evangelisches Gotteshaus gebaut wurde.

Nach Auffassung der Experten handelt es sich um eine sehr gute Bewerbung, die als Erweiterung des bestehenden Weltkulturerbes Eisleben und Wittenberg um das politische Zentrum der Reformation nachvollziehbar ist.

Aber auch den übrigen Bewerbern, die nicht zum Zuge kommen, geben die Experten Empfehlungen für die Fortführung ihrer Welterbeprojekte mit dem Ziel einer späteren Welterbebewerbung.

Für die Tentativliste haben sich weiterhin beworben:

5. „Meißen: Albrechtsburg und Dom mit dem Alleinstellungsmerkmal „Meissener Porzellan“

Das europäische Hartporzellan wurde in Sachsen erfunden. Die Stadt Meißen dokumentiert die Bedeutung der Manufakturen für die Herausbildung der frühindustriellen Arbeits- und Lebensformen.

Die Besonderheiten der Porzellanherstellung in Meißen, die bis heute andauert, wurden im Vergleich zu anderen weitweiten Porzellanproduktionsstätten gut dargestellt. Die für die Produktionskette des Porzellans wichtigen beiden Bergwerke, die Bestandteil der Bewerbung sind, können nach Einschätzung der Experten wegen ihrer Erreichbarkeit bzw. des noch aktiven Betriebs nur schwer für Touristen erlebbar gemacht werden.
Die für die Unterschutzstellung vorgesehene Gebietskulisse birgt nicht unerhebliches Konfliktpotential mit bestehenden und geplanten Nutzungen und bedarf daher nochmals einer eingehenden Prüfung.

Zur Erhöhung der Erfolgsaussichten sollte zudem ein serieller grenzüberschreitender Antrag mit anderen Porzellanmanufakturen geprüft werden.

6. „Sächsisch-Böhmische Schweiz“

Die Sächsisch-Böhmische Schweiz stellt eine der außergewöhnlichsten Felslandschaften Europas dar, die mit ihren beeindruckenden Naturphänomenen bereits seit dem 18. Jahrhundert Künstler zur schöpferischen Auseinandersetzung mit der Natur angeregt hat. Hieraus entwickelte sich unter den Malern eine romantische Naturauffassung, die sich zu einer bestimmenden Kunstströmung in Europa entwickelte.

Der tschechische Umweltminister befürwortet das Welterbeprojekt. Die Experten empfehlen eine gemeinsame Nominierung unter tschechischer Federführung. Zwischen beiden Seiten besteht bereits eine intensive Zusammenarbeit.

7. „Sächsisches Textilmuseum – Ehemalige Spinnerei und Weberei Pfau KG/Volltuchwerke Crimmitschau“

Die Tuchfabrik Pfau ist in Bezug auf Gebäude, Anlagen und Maschinen ein herausragendes sowie in ihrem Umfang und Erhaltungszustand einzigartiges Zeugnis der Textilindustrie des ausgehenden 19. Jahrhunderts und frühen 20. Jahrhunderts.

Nach Auffassung der Experten hat die Bewerbung ein hohes fachliches Potential. Es fehlt aber der Nachweis des außergewöhnlichen universellen Wertes.
Deshalb empfehlen die Experten eine serielle Nominierung im Zusammenwirken mit anderen bedeutsamen, insbesondere europäischen, Stätten der Textilproduktion zu prüfen.

8. „Topasfelsen Schneckenstein“

Die 24 m hohe Felsklippe im sonst felsfreien Waldgebiet ist eine absolute Rarität. Der Topas ist der härteste und seit 1735 auch der bedeutendste deutsche Edelstein.

Aus geologischer Sicht ist der Schneckenstein nach Ansicht der Experten weltweit einmalig. Geologische Einzelobjekte wurden aber bisher von der UNESCO nicht als Naturerbe unter Schutz gestellt.

Darüber hinaus sind Konflikte mit der zukünftigen Rohstoffgewinnung nicht auszuschließen. Es wird die Beantragung als UNESCO-Geopark empfohlen, dem später eventuell eine Welterbebewerbung folgen kann.

9. „Umgebindeland“

Das Umgebindeland ist einmalig in der Welt und in seiner Gestalt nicht vergleichbar. Das Umgebindehaus ist die Synthese von Block- und Fachwerkbau. Der Haustyp ist nur in einem sehr begrenzten Bereich nachweisbar und existiert in solch landschaftsprägender Dichte insbesondere dies- und jenseits der Kammlagen des Lausitzer-Gebirges.

Von Seiten der Experten wurde dennoch eine Bewerbung als chancenreicher eingeschätzt, die sich auf wenige repräsentative Standorte des im Zentrum der Bewerbung stehenden Typus des Umgebindehauses bezieht und auf eine serielle grenzüberschreitende Nominierung mit Polen und Tschechien ausrichtet.

10. „Versteinerter Wald Chemnitz“

Die Fossilienlagerstätten des Versteinerten Waldes in Chemnitz sind weltweit einzigartig und präsentieren einen Ausschnitt aus der Lebewelt vor über 290 Millionen Jahren. Nach Auffassung der Experten ist der versteinerte Wald eine hochkarätige Naturerscheinung: ein Fenster in die Zeitgeschichte.

Es fehlt aber bislang eine klare Gebietskulisse, die Voraussetzung ist für eine konfliktfreie Gestaltung des Schutzstatus. Es wird empfohlen, zunächst die Ausweisung als UNESCO-Geopark anzustreben.

Weiteres Verfahren:

Die Kultusministerkonferenz (KMK) wird die Vorschläge der Länder von einer international besetzten Expertenjury evaluieren lassen. Die KMK wird unter Berücksichtigung dieser Evaluierung im Jahr 2013 beschließen, welche Vorschläge auf die deutsche Tentativliste gesetzt werden. Mit der Aufnahme in die Tentativliste erfüllen die Welterbekandidaten nach der UNESCO-Welterbekonvention dann die Voraussetzung, um die Aufnahme in die UNESCO-Liste des Kultur- und Naturerbes der Welt (Welterbeliste) zu beantragen (Nominierung).

Ein Platz auf der Tentativliste ist Voraussetzung für die Beantragung der Aufnahme in die UNESCO-Welterbeliste auf der Grundlage des UNESCO-Übereinkommens zum Schutz des Kultur-und Naturerbes der Welt (UNESCO-Welterbekonvention).

Hintergrundinformation:

Die aktuelle, seit 1998 geltende deutsche Tentativliste läuft voraussichtlich 2015 aus. Die KMK hatte am 4. März 2010 entschieden, dass ihr für die Fortschreibung der deutschen Tentativliste bis zum 1. August 2012 jedes Bundesland grundsätzlich zwei Vorschläge vorlegen kann.

Die heutige Kabinettsentscheidung bildet den Abschluss des Auswahlverfahrens. Um eine transparente und objektive Entscheidungsfindung zu gewährleisten, wurde eine Expertenkommission eingesetzt. Die Experten kommen sowohl aus der Denkmalpflege als auch der Wissenschaft und der Wirtschaft.

Die Mitglieder Expertenkommission setzte sich zusammen aus 14 Experten und zwei Beratern ohne Stimmrecht. Die Auswahl wurde vom SMI in Abstimmung mit SMWK, SMWA, SMUL sowie LfD und LfA getroffen.

Mitglieder der Kommission waren:
• Herr Abteilungsleiter Ulrich Beyer, SMI, Vorsitzender

und aus den fachlich betroffenen Ressorts/Behörden:
• Frau Landeskonservatorin Prof. Dr. Rosemarie Pohlack, LfD
• Frau Landesarchäologin Dr. Regina Smolnik, LfA
• Frau Referatsleiterin Dr. Tatjana Frey, SMWK
• Herr Dr. Peter Kronenberger, SMWA
• Herr Peter Vorläufer, SMUL

als Wirtschaftsexperten:
• Herr Parlamentarischer Staatssekretär Jan Mücke, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
• Herr Matthias Matz, Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft e.V.
• Herr Abteilungsleiter Thorsten Wieck, SMWA

als Fachexperten:
• Herr Prof. Dr. Michael Petzet, Internationaler Rat für Denkmalpflege (ICOMOS), Deutsches Nationalkomitee
• Herr Prof. Dr. Harald Plachter, Universität Marburg, Fachbereich Biologie
• Herr Prof. Dr. Klaus Thalheim, Museum für Mineralogie und Geologie
• Herr Dr. Wolfgang Illert, Deutsche Stiftung Denkmalschutz
• Herr Abteilungsleiter Dr. Thomas Westphalen, LfA

als Berater ohne Stimmrecht:
• Herr Prof. Dr. Herrmann, Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden, Institut für Musikwissenschaft
• Herr Dr. Michael Kirsten, LfD


Kontakt

Sächsisches Staatsministerium des Innern

Ansprechpartner Martin Strunden
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