Sächsische Staatsregierung legt EU-Kommissar Oettinger einen 10-Punkte-Plan zur Energiepolitik vor
16.06.2011, 13:00 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)
Dresden (16. Juni 2011) – Die Neuausrichtung der Energiepolitik in Deutschland und der Europäischen Union muss eine Balance zwischen Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit herstellen. Das haben die Mitglieder der Sächsischen Staatsregierung in ihrer heutigen Kabinettssitzung mit EU-Energiekommissar Günther Oettinger in einem 10-Punkte-Plan zur Energiepolitik deutlich gemacht. „Dieses Mammutprojekt darf nicht nur durch die nationale Brille betrachtet werden. Ganz im Gegenteil: Damit die Ergebnisse unserer politischen Weichenstellungen deutsche Unternehmen nicht im Wettbewerb zurückwerfen, müssen Maßnahmen zur Reduzierung von Emissionen und Steigerung der Energieeffizienz im europäischen und internationalen Verbund mit Augenmaß vorangetrieben werden“, sagte Ministerpräsident Stanislaw Tillich.
Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP): „Sachsen ist ein Energieland. Hier werden 80 Prozent des Stroms durch Braunkohle erzeugt. Auch in Zukunft muss die Nutzung der Braunkohle gesichert sein, weil sie kostengünstig und versorgungssicher ist. Die Nutzung des Energieträgers Braunkohle darf durch Klimaschutzziele oder energiebezogene Abgaben nicht behindert werden. Braunkohle ist ein Partner der Erneuerbaren und stellt eine stabile Stromversorgung sicher. Die Nutzung der Braunkohle kann weiter verbessert werden durch Effizienzsteigerung und die Nutzung innovativer Technologien wie CCS.“
Der Freistaat Sachsen sei ebenso ein Hightech-Standort, so der Minister. Die einheimische Industrie brauche faire Bedingungen im internationalen Wettbewerb. Morlok: „Die Energiekosten dürfen nicht weiter steigen, weder durch das Ende der Kernenergie noch durch Lenkungsabgaben aus Berlin und Brüssel. Besonders für energieintensive Unternehmen steht der Standort Deutschland in Frage.“
Darüber hinaus machten die sächsischen Kabinettsmitglieder ihrem Gast aus Brüssel deutlich, dass auch ab 2014 – wenn die sächsischen Regionen Dresden, Leipzig und Chemnitz wegen ihres dann voraussichtlich deutlich über dem Schwellenwert liegenden Bruttoinlandsprodukts nicht mehr zu den EU-Höchstfördergebieten zählen werden – eine angemessene und gerechte Übergangsförderung gefunden werden muss. „Sie sollte in ihrer Höhe nicht weniger als zwei Drittel der bisherigen Förderung betragen. Auch die Region Leipzig, die bereits in der laufenden Förderperiode eine Übergangsförderung erhält, muss unbedingt weiter bedacht werden“, sagte Tillich. Dem Freistaat Sachsen stehen für die Förderperiode 2007 bis 2013 folgende Mittel zur Verfügung: 3,1 Milliarden Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), rund 870 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und eine Milliarde Euro für die Förderung des ländlichen Raumes.
„Wir sind außerordentlich dankbar für diese finanzielle Förderung, da wir damit zu wirtschaftsstärkeren Regionen aufschließen und den Freistaat Sachsen zu dem machen konnten, was er heute ist: ein erfolgreicher Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort mit einer hervorragenden Infrastruktur“, sagte der Ministerpräsident. Heute gebe es jedoch beispielsweise in Rumänien und Bulgarien Regionen, die nur etwa ein Drittel des sächsischen Bruttoinlandsprodukts aufwiesen und damit wesentlich ärmer seien als Sachsen. „Diese Verschiebung und der Rückgang der Fördermittel aus dem Solidarpakt 2 könnten aber zur Folge haben, dass wir unseren Motor abwürgen und in unserer Entwicklung wieder zurück fallen“, unterstrich Tillich die Notwendigkeit einer Übergangsförderung ab 2014.
10-Punkte-Plan zur aktuellen Energiepolitik
1. Europäische Energiepolitik
Der Sächsischen Staatsregierung ist wichtig, dass nach dem Scheitern der Kopenhagener Klimakonferenz im Dezember 2009 die erfolgreiche Suche nach einem internationalen Konsens für die Zeit nach Auslaufen des ‚Kyoto-Protokolls’ an erster Stelle bei den Energieaußenbeziehungen der EU steht. Die EU-Kommission will in den kommenden Monaten die EU-Energieaußenbeziehungen definieren und einen Energie-Fahrplan vorlegen. Dieser soll Wege für eine sichere, bezahlbare und emissionsarme Energieversorgung bis 2050 aufzeigen.
2. Nachhaltige Energiepolitik/Energieversorgung
Es darf keine zusätzlichen Lasten für Unternehmen geben, die im internationalen Wettbewerb stehen.
Der einheimische Energieträger Braunkohle trägt schon heute wesentlich zur Sicherung einer wirtschaftlichen Energieversorgung in Deutschland bei. Das gilt insbesondere im Rahmen des von der Bundesregierung geplanten Umbaus des Energiesystems.
Bei der zukünftigen Energieversorgung Deutschlands kann, auch unter Berücksichtigung der Energieträger Erdgas und Mineralöl, mittelfristig auf die Nutzung der Braunkohle nicht verzichtet werden. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Strom- und Wärmeerzeugung soll dabei deutlich steigen. In knapp zehn Jahren soll mindestens ein Drittel des Bruttostromverbrauchs im Freistaat Sachsen aus erneuerbaren Energien gedeckt werden.
Die Klimaschutzziele der EU dürfen eine Verstromung der Braunkohle nicht behindern. Regelungen für energiebezogene Steuern, Abgaben und Umlagen dürfen nicht verschärft werden.
3. Energieeffizienz von Gebäuden
Die EU hat gerade erst ihre Anforderungen an die Energieeinsparung an Gebäuden formuliert. Sachsen konzentriert sich darauf, bei ihrer Umsetzung in nationales Recht eigene Interessen einzubringen.
Im Gebäudebestand unterstützt Sachsen keine Festlegung von verbindlichen Sanierungszyklen. Wenn ohnehin Sanierungsmaßnahmen durchgeführt werden, sollen sie grundsätzlich wirtschaftlich und energetisch sein. Dabei verweisen die Kabinettsmitglieder darauf, dass in Sachsen mehr Mietwohnungen angeboten als nachgefragt würden. Die erzielbaren Mieten seien dadurch und aufgrund der Einkommensverhältnisse relativ niedrig. Öffentliche Hand, private Hausbesitzer und Mieter sind nicht beliebig belastbar. Die energetischen Anforderungen an Bestandsgebäuden haben sich an der Wirtschaftlichkeit zu orientieren.
4. Braunkohle als Energieträger
Die Braunkohlenutzung ist mittel- bis langfristig nicht verzichtbar, weil sie stabil, kostengünstig und sicher verfügbar ist. Die Rahmenbedingungen (Emissionshandel, Emissionsreduzierungsziele) auf nationaler und europäischer Ebene dürfen die energetische und stoffliche Nutzung der Braunkohle nicht behindern.
5. Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS)
Die CCS-Technologien bieten die Möglichkeit, die Braunkohleverstromung mit deutlich geringeren CO2-Emissionen durchzuführen. Darüber hinaus ist CCS auch für andere Emittenten von Bedeutung. Daher ist es wichtig, ein CCS-Gesetz zu verabschieden, das den unverzüglichen Bau von Pilotanlagen in Deutschland ermöglicht. Wenn es in Deutschland auf absehbare Zeit nicht gelingt, CO2 in saline Aquifere einzulagern, kommen exterritoriale Lagerstätten in Frage.
6. CO2-Zertifikatehandel: Stand und Verbesserungsbedarf
Die Sächsische Staatsregierung bittet EU-Kommissar Oettinger, die in der Emissionshandelsrichtlinie enthaltenen Möglichkeiten für eine deutlich vereinfachte Berichterstattung für CO2-Klein- und Kleinstemittenten aktiv zu nutzen. Die Monitoring-Verordnung der EU-Kommission, die derzeit erarbeitet wird, macht dies möglich.
Die Kabinettsmitglieder bitten Günther Oettinger außerdem darum, sich dafür einzusetzen, dass das europäische Beihilferecht einer kostenlosen CO2-Zertifikatezuteilung an Unternehmen, die im weltweiten Wettbewerb stehen und ihren Standort verlagern könnten, nicht im Wege steht.
Forschungs-, Entwicklungs- und Demonstrationsanlagen zur innovativen stofflichen Nutzung von Kohle und Biomasse sollten CO2-Emissionsberechtigungen kostenlos zugeteilt bekommen.
7. CO2-Reduktion: Klimaschutzziele der EU und auf internationaler Ebene
Es ist davon auszugehen, dass bei einem Ausstieg aus der Kernenergienutzung die Verstromung der sächsischen Braunkohle zwischenzeitlich mehr Gewicht erhält. Ein Anstieg der CO2-Emissionen ist deshalb nicht auszuschließen. Sachsen ist an einer maßvollen Anpassung der Klimaziele interessiert. Dies ist bei den Folgeverhandlungen zum Kyoto-Protokoll zu berücksichtigen.
8. Energieforschung
Energieforschung und –entwicklung – insbesondere auf dem Gebiet der „Sauberen Kohlechemie“ - müssen verstärkt werden, um den Umbau des Energiesystems zu schaffen und gleichzeitig die Sicherheit der Energieversorgung jederzeit zu wettbewerbsfähigen und sozial verträglichen Preisen zu gewährleisten.
Sachsen verfügt in Dresden und Freiberg über das Potenzial, entlang der gesamten Wertschöpfungskette die nächste Batteriegeneration zu erforschen. Diese Lithium-Schwefel-Batterien versprechen einen weit höheren Wirkungsgrad als Lithium-Ionen-Batterien. Eine gezielte Förderung könnte die Energiekompetenz Europas erheblich steigern.
9. Transparenzstelle in Ljubljana (Europäische Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden – ACER)
Die Absicht, ACER aufgrund des Vorschlags für eine Verordnung über die Integrität und Transparenz des Energiemarktes einzurichten, wird von der Sächsischen Staatsregierung begrüßt. Um jedoch mehrfache Datenerhebungen gleicher Art zu vermeiden, sollten bestehende Strukturen aufgegriffen und fortentwickelt werden.
Es gibt Überlegungen, an den Handelsplätzen ACER-Verbindungsbüros einzurichten. Die Sächsische Staatsregierung hat gegenüber Kommissar Oettinger dafür geworben, Leipzig als Standort für ein solches Verbindungsbüro auszuwählen. Leipzig ist dafür prädestiniert, weil an der dortigen EEX nicht nur der Stromhandel, sondern als Alleinstellungsmerkmal in der EU auch der CO2-Zertifikatehandel und der Handel mit Gas stattfinden.
10. Energienetzausbau und europäisches Schutzgebietsnetz „Natura 2000“
Für eine deutlich stärkere Nutzung erneuerbarer Energien ist ein rascher Umbau des Energiesystems erforderlich. Dieser ist auch mit Eingriffen in die Natur verbunden. Der Energienetzausbau kann in einzelnen Fällen dazu führen, dass erhebliche Beeinträchtigungen der Erhaltungsziele des Schutzgebietsnetzes „Natura 2000“ nicht von vornherein auszuschließen sind. Für diese Fälle sieht die FFH-Richtlinie Ausnahmeregelungen vor. Sie ermöglichen eine Realisierung des Vorhabens, wenn keine Alternative vorhanden ist und zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses vorliegen.
Eine frühzeitige Berücksichtigung der Naturschutzbelange im Planungsprozess und die bestehenden Ausnahmeregelungen sichern ein bestmögliches Miteinander beider Zielstellungen.
EU-Kommissar Oettinger wurde gebeten, auch hierfür einen speziellen Leitfaden in Kooperation mit den betroffenen Verbänden zu erarbeiten.