Regierungserklärung des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich zum Augusthochwasser 2010, Sächsischer Landtag, 1. September 2010

01.09.2010, 14:15 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)

Bitte beachten: Es gilt das gesprochene Wort!

Regierungserklärung des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich zum Augusthochwasser 2010, Sächsischer Landtag, 1. September 2010

Herr Präsident,
meine Damen und Herren,

Einleitung/Ereignisse

Extreme Unwetter-Ereignisse treffen uns in Sachsen leider alle paar Jahre.
2002 die Jahrhundertflut, 2006 das Frühjahrshochwasser, dieses Jahr der Tornado und nun das Augusthochwasser.
Wie können daher sehr gut mit den Menschen in Pakistan mitfühlen. Dort sind derzeit 17 Millionen Menschen betroffen. Ihr Leid wollen wir bei aller eigenen Betroffenheit nicht vergessen.

Meine Damen und Herren,
Die dramatischen Tage vom 6. bis 8. August waren für Tausende Sachsen ein Schock. In Neukirchen bei Chemnitz und in Werdau sind vier Menschen in den Wassermassen ertrunken, mindestens sechs weitere in unseren Nachbarländern Polen und Tschechien. Dieser Opfer und ihrer Angehörigen wollen wir in dieser Stunde besonders gedenken.
Über tausend Menschen mußten unter dramatischen Umständen evakuiert werden.
Allein im Landkreis Bautzen sind 30 Familien obachlos geworden.
Unternehmen – vom Ausflugscafe im Kirnitzschtal bis zum größten Arbeitgeber in Bautzen, Bombardier – sind schwer geschädigt worden.
Auch die kommunale und staatliche Infrastruktur ist vom Hochwasser erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden.
Straßen, Brücken, Sportplätze, Schienenwege - vieles muss jetzt schnell repariert oder komplett erneuert werden.
Ich bin wie meine Kabinettskollegen und viele Mitglieder dieses Hohen Hauses in den Hochwassergebieten unterwegs gewesen, an der Neiße, im Oberlausitzer Bergland, in der Sächsischen Schweiz, in Chemnitz und dem Erzgebirge.
Wir alle standen geschockt vor den beschädigten und zum Teil sogar zerstörten Häuser. Ich habe mit verzweifelten Menschen gesprochen, die zu Recht unseren Zuspruch und unsere Hilfe erhalten. Bilder von der Jahrhundertflut 2002 wurden wieder gegenwärtig.

Vergleich mit Augustflut 2002/HW 2006/Tornado

Meine Damen und Herren,
der erste Vergleich mit der Schadensbilanz von 2002 zeigt allerdings: Damals war das Ausmaß der Katastrophe viel größer.
Damals waren 80.000 Menschen, drei von vier Flüssen und große Teile Sachsens vom Hochwasser betroffen.
Dieses Jahr war etwa jedes vierte Fließgewässer betroffen, allerdings teilweise in Gegenden, die zum Glück relativ dünn oder gar nicht besiedelt sind. Demzufolge sind auch viel weniger Menschen als 2002 vom Hochwasser betroffen.

Frühwarnsystem/Katastrophenschutz

Meine Damen und Herren,
Wir haben aus der Jahrhundertflut von 2002 die richtigen Lehren gezogen und konsequent gehandelt.
Jeder wußte, was zu tun ist. Meldewege und Rettungswesen haben weitgehend reibungslos funktioniert. Hilfe war schnell vor Ort. Entscheidungen wurden umsichtig getroffen. Davon habe ich mich selbst in der Nacht vom 7. auf den 8. August überzeugen können.
In den Tagen des Hochwassers waren insgesamt 3.500 Männer und Frauen im Einsatz, darunter die Katastrophenschutzeinheiten der Landkreise, die Rettungsdienste, die Spezialisten von Feuerwehr, THW, Landes- und Bundespolizei sowie Hilfsorganisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz. 13 Hubschrauber und viele Boote halfen bei Lastentransport und Evakuierungen.
Mein Dank, unser aller Dank gilt allen Helfern, die an den Rettungsmaßnahmen beteiligt waren, vor Ort wie in den Katastrophenstäben des Landes und der Kommunen. Sie alle haben geholfen, Menschen zu retten und schlimmere Schäden zu vermeiden.
Aber meine Damen und Herren, was vielleicht noch wichtiger ist und mich begeistert hat, das ist die Solidariät der Sachsen untereinander.
Die Nachbarn und Freunde, die füreinander da waren. Die unzähligen Fremden, die einfach mitgemacht und geholfen haben, als es galt anzupacken. Das ist nicht selbtsverständlich, aber das ist etwas typisch Sächsisches!

Schadensbilanz

Meine Damen und Herren,
zur Schadensbilanz gibt es seit dem 25. August – gut zwei Wochen nach dem Hochwasser – eine erste vorläufige und noch sehr ungenaue Zahl: ca. 800 Millionen Euro. Diese grobe Schätzung betrifft die Schäden von privaten Hauseigentümern, freien Trägern, Vereinen, Unternehmen und an öffentlichem Eigentum der Gemeinden, der Landkreise, des Freistaates und des Bundes.
Dabei zeigt sich: Es gibt ein breites Spektrum an Schäden, von Wohngebäuden, beschädigten Maschinen bis hin zu Stützmauern an Bachläufen.
Anhand der ersten Schätzung läßt sich ungefähr sagen, welche Bereiche am stärksten betroffen sind.

Schadensbereiche

Mit rund 180 Millionen stehen an erster Stelle die Schäden an wasserwirtschaftlichen Anlagen von Land und Kommunen.
Dazu kommen weitere Schäden an kommunalen Straßen und Brücken von rund 120 Millionen Euro. Auf den Unternehmensbereich entfallen nach vorläufigen Angaben Schäden von rund 200 Millionen Euro. Hierbei ist noch nicht unterschieden zwischen versicherten und nicht versicherten Schäden.
Bei der SAB haben sich bisher 557 Unternehmen gemeldet. Von diesen Unternehmen haben 444 ihre Schadenshöhe vorläufig geschätzt. Ohne Berücksichtigung von Bombardier Bautzen beträgt danach der durchschnittliche von diesen Unternehmen vorläufig angezeigte Schaden etwa 190.000 Euro.
An Wohngebäuden sind Schäden von bis zu 137 Millionen Euro gemeldet worden.

Warnung vor Spekulationen

Meine Damen und Herren,
Diese Zahlen beruhen auf ersten, groben Schätzungen unmittelbar nach dem Schadensereignis. Wir wissen, dass 2002 die Schäden kurz nach der Flut auf 10 Milliarden Euro veranschlagt wurden. Bei genauer Begutachtung konnte diese Zahl um knapp ein Drittel nach unten korrigiert werden.
Ich hoffe, dass auch diesmal der bestätigte Schadensumfang geringer ausfallen wird.
Zum Gesamtschaden zählen sowohl versicherte als auch nichtversicherte Schäden. Ich habe in einem Brief an den Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft gebeten, versicherte Schäden schnell und unbürokratisch zu regeln.
Das passiert auch. Die ersten Auszahlungen haben am 12. August begonnen. Inzwischen hat zum Beispiel die Allianz von bislang 7.500 Schadensmeldungen aus Sachsen rund ein Drittel durch die Agenturen vor Ort bereits erledigt.

Schadensregulierung

Bei der Debatte um die Schadensbilanz wollen wir aber nicht vergessen: Aus der Sicht der Betroffenen ist nicht die Gesamthöhe des Schadens oder der Vergleich mit anderen Katastrophen entscheidend. Es geht um einzelne Schicksale.
Die Menschen stehen unter dem Eindruck der schweren Schäden, die Überschwemmungen und Starkregen an ihren Häusern und Grundstücken angerichtet haben. Für manche ist diese Katastrophe existenziell bedrohend.
Für mich ist deshalb selbstverständlich: Wir werden uns um jeden Einzelnen kümmern. Niemand steht am Ende alleine da. Niemand soll wegen des Hochwassers in Existenznot geraten!

Versicherungen/Spenden

Klar ist aber auch: Für die Schadensbeseitigung gelten eindeutige Grundsätze.
2002 hatten wir eine nationale Katastrophe. 2010 müssen wir Sachsen uns vor allem selber helfen. Das werden wir auch. Wir werden die Schäden gemeinsam beseitigen. In naher Zeit werden die Schäden nicht mehr sichtbar sein. Ich wiederhole: Niemand soll wegen des Hochwassers in Existenznot geraten. Dennoch: Wenn es eine Lehre aus der Jahrhundertflut 2002 gibt, die jeder Bürger versteht, dann ist es die: Noch besserer Hochwasserschutz und noch mehr Eigenvorsorge sind nötig!
Deshalb steht auch jetzt wie 2006 und bei vergleichbaren Ereignissen an erster Stelle die Frage nach der Eigenvorsorge, nicht die nach staatlicher Hilfe.
Wer ein Haus baut oder ein Unternehmen gründet, muss auch für Schadensfälle Vorsorge treffen. Angesichts sich häufender extremer Wetterereignisse kann es jeden treffen.
Überschwemmungen und Starkregen sind Risiken, gegen die man sich in der Regel versichern kann. Die Kosten einer solchen Versicherung sind im Verhältnis zum Anschaffungspreis eines Hauses gering. Sie sind auch bei Objekten in exponierter Lage möglich und bezahlbar.
Für Ostritz zum Beispiel wäre nach Angaben des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft ein Grundstück in der dritthöchsten Gefährdungsklasse III für rund 300 Euro im Jahr zu versichern.
Das gilt auch für die Kommunen. Es besteht für alle Gemeinden in Sachsen die Möglichkeit, öffentliche Anlagen gegen Elementarschäden zu versichern, zum Beispiel bei der Ostdeutschen Kommunalversicherung. Tatsächlich sind jedoch einige vom Hochwasser betroffenen Kommunen nicht versichert.
Keine Versicherung für öffentliches Eigentum abzuschließen ist nahezu unverantwortlich, wenn die Gemeinde nicht in der Lage ist, den entstandenen Schaden selbst zu schultern.
Im übrigen ist Versicherungssschutz nicht nur deshalb wichtig, weil es im Schadensfall Geld gibt. Im Vorfeld beraten die Versicherungen ihre Kunden auch, welche Maßnahmen sie ergreifen können, um Schäden und Prämienzahlungen zu reduzieren.

Hilfspaket des Freistaats

Mein zweiter Punkt zum Thema Schadensbeseitigung:
Uns war und ist es wichtig, in kurzer Zeit handlungsfähig zu sein und zu helfen.
Schon vier Tage nach dem Hochwasser gab es den ersten Kabinettsbeschluss zu Hilfsmaßnahmen. Denn das Geld soll rasch da ankommen, wo es dringend gebraucht wird. Wir haben deshalb zehn Millionen Euro Zinsverbilligungsmittel in die Hand genommen. Damit können von der Sächsischen Aufbaubank zinsverbilligte Darlehen mit einem Zinssatz von 0,75 bzw. 1,5% vergeben werden. Wir sind auf ein Darlehensvolumen von bis zu 100 Millionen Euro eingestellt. Es gibt Darlehensprogramme für alle Gruppen von Geschädigten: Private, Unternehmen und Kommunen. Der Freistaat Sachsen ist für alle Darlehensprogramme der Kreditausfallbürge. Kann ein Bürger oder ein Unternehmen das Darlehen nicht zurückzahlen, tritt der Freistaat komplett in die Haftung ein.
Und noch etwas ist mir wichtig: Kommunen und Unternehmen wiederum können die Darlehen als Eigenmittel verwenden, um Zuschüsse aus unseren Fachförderprogrammen zu bekommen.
Bisher haben wir 17 Darlehensprogramme und Förderrichtlinien erlassen oder entsprechend angepaßt. Und wir haben den staatlichen Zuschuss in den Fachförderprogrammen auf den maximalen Satz hochgesetzt, in der Regel auf 90 Prozent.
Zudem prüfen wir, wie wir die Mittel in den Förderprogrammen prioritär für die Beseitigung der Hochwasserfolgen einsetzen können, ohne Projekte in den nicht betroffenen Regionen zu gefährden. Wie schon 2002 und 2006 werden die Darlehen in bewährter Weise von der Sächsischen Aufbaubank ausgereicht.
Die SAB hat bereits am 10. August Bürgertelefone in den betroffenen Landkreisen und Städten eingerichtet. Bereits wenige Tage später waren ihre Beratungsteams in zahlreichen Gemeinden präsent.
Die Mitarbeiter haben bisher mehr als 1.100 Beratungsgespräche mit Betroffenen geführt, die ersten Anträge von Unternehmen und aus der Wohnungswirtschaft sind in Bearbeitung, Anträge aus den Kommunen werden in den nächsten Tagen erwartet.
Zugleich kommt es uns darauf an, rasch die Schadensbeseitigung in Angriff zu nehmen, bevor Darlehen genehmigt und Fördermittel ausgereicht sind.
Das öffentliche Leben sollte rasch wieder in Gang kommen, Straßen befahrbar sein, besonders betroffenen Bürgern und Unternehmern in ihrer Not geholfen werden.
Deshalb haben wir ein kommunales Soforthilfeprogramm im Umfang von 5 Millionen Euro aufgelegt.
Davon wurden 2,5 Millionen Euro aus dem FAG bereitgestellt, wofür ich den kommunalen Spitzenverbänden danke. Damit konnten die ersten Schäden in den Gemeinden umgehend beseitigt werden, konnten die Gemeinden besonders betroffenen Bürgern schnell und unkompliziert erste Unterstützung geben. Das Geld kommt vor allem Härtefällen zugute, also Bürgern, die von den Darlehensprogrammen und Förderrichtlinien nicht erfaßt werden.
Innerhalb einer Woche nach dem Hochwasser war damit ein ganzes Hilfspaket für die betroffenen Kommunen, Bürger und Unternehmen geschnürt. Seither sind weitere Hilfsmaßnahmen hinzugekommen. Ein wichtiges Thema ist zum Beispiel der Wiederaufbau von Stützmauern.

Hier haben wir die gleiche Lösung wie 2002.
Ist die Stützmauer Teil einer Straße, wird der Wiederaufbau aus dem Straßenbauprogramm finanziert. Ist die Stützmauer Teil eines Gebäudes oder Grundstücks, fällt sie unter die Wohngebäude-Richtlinie. Ist die Stützmauer wasserwirtschaftlich notwendig, wird sie durch den Träger der Unterhaltungslast instand gesetzt.
Ein weiteres Beispiel aus dem Unternehmensbereich: Über die GA-Förderung können Neuanschaffungen von Maschinen, die beim Hochwasser vollständig zerstört worden sind, bezuschusst werden.
Für kleine Handwerksbetriebe, die von den bestehenden Förderrichtlinien nicht erfaßt werden, sind wir in Gesprächen mit der Sächsischen Aufbaubank, um Einzelfall-Lösungen zu finden. In Absprache mit Wirtschaftsminister Morlok wird die Laufzeit der Darlehen an vom Hochwasser betroffene Unternehmen auf 10 Jahre verlängert.

Meine Damen und Herren,
Wir können heute feststellen: Unser Hilfsprogramm wirkt.
Sofort nach der Flut haben viele Bürger angefangen, die Schäden aus eigener Kraft zu beseitigen, unterstützt von Nachbarn, den Feuerwehren und dem THW.
Bürgermeister und Landräte haben mit Sachspenden aus kommunalen Beständen geholfen, wo Bürger ihren Hausrat durch das Hochwasser verloren haben.
Auch haben die Kommunen und Landkreise sofort reagiert und Hartz IV-Empfängern unbürokratisch mit Sonderzahlungen aus dem kommunalen Soforthilfeprogramm geholfen. Ich bin mir mit Frau von der Leyen einig, dass diese Zahlungen nicht auf das Arbeitslosengeld II angerechnet werden sollen.
Überspülte Schienenstrecken sind in vielen Fällen innerhalb weniger Tage wieder in Betrieb genommen worden. Weniger als drei Wochen nach dem Hochwasser hat zum Beispiel die Kirnitzschtalbahn wieder den Betrieb aufgenommen, wenn auch noch nicht auf ganzer Strecke.
Mein herzlicher Dank gilt den Landräten und Bürgermeistern, die durch entschlossenes Handeln den Wiederaufbau rasch vorantreiben.
Ganz im Geiste konstruktiver Hilfe tut auch der Freistaat das, was ihm möglich ist.
Wir müssen bei der Auszahlung von Hilfsgeldern beachten, dass es sich hier um Steuermittel handelt. Wir müssen auf Verwendungsnachweisen bestehen und bei Zahlungen an Unternehmen die Wettbewerbsregeln der EU beachten.
Unter Beachtung dieser Grundsätze haben wir so rasch wie möglich gehandelt.
Wir bündeln alle Anfragen nach staatlicher Hilfe in bewährter Weise bei der SAB.
Wir koordinieren die Hilfe mit den Hilfsorganisationen.
Wir unterstützen die Kommunen, die selbst am besten wissen, was zu tun ist. Der Freistaat macht ihnen ein Dienstleistungsangebot:
Wenn die Kommunen es wünschen, werden Mitarbeiter der Landestalsperrenverwaltung und der Landesdirektionen sie beim Wiederaufbau beratend unterstützen.
Auch das Finanzministerium hat sofort reagiert und für Hochwassergeschädigte Steuern gestundet, die Vollstreckung ausgesetzt, neue Abschreibungsmöglichkeiten eingeräumt.
Das Innenministerium gibt den betroffenen Kommunen mit einem Haushaltserlass die Möglichkeit, ihren Haushaltsvollzug der besonderen Lage anzupassen.
Bei allen Förderprogrammen zur Hochwasserschadensbeseitigung für Bürger und Unternehmen ist ein vorzeitiger Maßnahmebeginn förderunschädlich.
Die Bürgermeister und Landräte der von dem Hochwasser betroffenen Kommunen wurden in meinem Auftrag am 25. August 2010 vom Staatsminister des Innern, Herrn Markus Ulbig, über das Hilfsangebot des Freistaates informiert.
Sie hatten dabei Gelegenheit, Anregungen zu geben sowie Fragen zu konkreten Schadensfällen zu stellen. Die Veranstaltung fand regen Zuspruch.
Nicht zuletzt: Wir sind in Gesprächen mit Bund und EU über deren Möglichkeit für Unterstützung.
In den letzten Wochen habe ich mich mit der Bitte um die Unterstützung des Bundes und der Europäischen Kommission an die Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso gewandt.
Zudem haben die Staatsminister bzw. Staatsekretäre der mit den Folgen des Hochwassers befassten Ressorts beim jeweiligen Bundesressort um Unterstützung gebeten. Bei unseren polnischen und tschechischen Nachbarn habe ich dafür geworben, dass wir gegenüber der Europäischen Kommission gemeinsam als ein Schadensgebiet auftreten.
In dieser Gesamtschau können wir feststellen: Insgesamt haben wir ein Hilfspaket geschnürt, in dem gute Lösungen für Private, Unternehmen und Kommunen stecken. Noch einmal: Niemand soll wegen des Hochwassers in Existenznot geraten!
Ich bin zuversichtlich, dass mit der Tatkraft der sächsischen Bürgerinnen und Bürger und den zur Verfügung stehenden Hilfen die Schäden durch das Augusthochwasser 2010 zügig wieder beseitigt werden.

Lehren aus dem HW 2010

Meine Damen und Herren,
zur Bilanz des Augusthochwassers gehört auch, dass wir wie 2002 Lehren für die Zukunft ziehen. Ich möchte an dieser Stelle acht Punkte nennen.
Erstens: Wir werden die Investitionen in den Hochwasserschutz fortführen. Denn es hat sich gezeigt: Unsere Maßnahmen für den Hochwasserschutz haben sich bewährt.
Probleme haben diesmal eine Vielzahl eher kleiner Bäche gemacht, die wegen des Starkregens über die Ufer getreten sind, sowie der Dammbruch in Polen, der das Hochwasser in der Neißeregion gefährlich verschärft hat.
Dort, wo unsere Hochwasserschutz-Maßnahmen bis zum Augusthochwasser abgeschlossen waren, waren Häuser, Unternehmen und kommunale Infrastruktur vor Überflutung geschützt.
So haben die Schutzmaßnahmen Schaden vom VW Motorenwerk in Chemnitz ferngehalten.
Auch eine Bürgerin, die im Chemnitzer Ortsteil Einsiedel direkt an der Zwönitz wohnt, hat sich bei der Landestalsperrenverwaltung nach dem Hochwasser dafür bedankt, dass auf ihrem Grundstück vor kurzem eine Wassermauer errichtet worden ist.
Ich zitiere: „Wäre die von Ihren Mitarbeitern durchgeführte Baumaßnahme nicht so zügig, ordentlich und ohne Probleme durchgeführt worden, hätte unser Grundstück wieder unter Wasser gestanden.“ Zitat Ende.
Es gibt eine ganze Reihe solcher Beispiele, die zeigen: Unsere Hochwasserschutzprojekte wirken. Wir werden bis zum Jahr 2015 insgesamt 1 Milliarde Euro in den Hochwasserschutz investieren.
Wir wissen aber auch: Hochwasserschutz braucht einen Planungsvorlauf von mehreren Jahren. Er ist eine Generationenaufgabe.
Das zeigt sich auch daran, dass wir noch nicht alle Mittel aus dem Aufbauhilfefonds 2002 verbaut haben. Mittel aus diesem Fonds umzuschichten und die Flutschäden und den Wiederaufbau von diesem Jahr damit zu bezahlen ist jedoch nicht möglich.
Dieser Fonds ist durch ein Bundesgesetz errichtet worden. Das Gesetz bindet die Mittel an die Beseitigung der Flutschäden von 2002. Sie sind damit zweckgebunden.
Für eine Gesetzesänderung bedarf es zudem der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat.
Zudem sollten alle wissen: Die 445 Millionen Euro haben wir bereits für konkrete Projekte des Hochwasserschutzes zum Schutze sächsischer Bürger und Unternehmen verplant.
Diese Mittel umzuschichten hieße, bisher geplante Hochwasserschutz-Maßnahmen nicht zu vollenden. Das kann nicht in unserem Interesse, im Interesse der Bürger sein.
Natürlich bin ich nicht froh darüber, dass wir diese Mittel noch nicht verbaut haben. Es hätten in diesem Jahr noch mehr Bürger geschützt sein können, wenn geplante Projekte nicht seit Jahren verzögert würden. Denjenigen, die sich heute über die langsame Realisierung der Hochwassser-Schutzmaßnahmen beschweren, sage ich:
Sie sind doch diejenigen, die sonst mehr Bürgerbeteiligung am politischen Prozess einfordern. Dann respektieren Sie jetzt bitte auch, dass Planfeststellungsverfahren längere Zeiträume beanspruchen. Auch Hochwasserschutz kann nur mit und nicht gegen die Bürger realisiert werden.
Ich persönlich bitte alle Bürger, die geplanten Maßnahmen im eigenen Interesse zu unterstützen – das nächste Hochwasser kommt bestimmt.
Mein zweiter Punkt mit Blick auf Lehren aus dem Hochwasser: Auch unsere Meldesysteme haben sich im Großen und Ganzen bewährt.
Aber: Was gut ist, kann noch besser werden. Wir werden deshalb die Zusammenarbeit der beteiligten Stellen überprüfen. Dafür will ich eine Kommission um den renommierten Fachmann und ehemaligen Abteilungsleiter im Sächsischen Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft Dr. Klaus Jeschke einsetzen.
Drittens bleibt gerade mit Blick auf den Dammbruch an der Talsperre Witka festzuhalten: Die Kommunikation mit den polnischen Behörden muss besser werden. Wir haben vom Dammbruch definitiv zu spät erfahren.
Eine sächsisch-polnische Arbeitsgruppe ist deshalb bereits dabei, das Geschehen zu analysieren und Vorschläge für Verbesserungen zu machen. Hier erwarte ich zeitnah Ergebnisse.
Viertens entwickeln wir gemeinsam mit Polen und Tschechien eine Hochwasserschutzstrategie für die Lausitzer Neiße. Grundlage ist die EU-Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie. Das ist ein neues trilaterales Projekt, das die Region noch enger zusammenwachsen läßt.
Fünftens: Die Staatsregierung wird einen Versicherungsgipfel einberufen, um auszuloten, wie noch bessere Absicherung möglich ist.
Wir müssen die Bürger für die Notwendigkeit einer guten Versicherung sensibilisieren, auch wenn sie in einem scheinbar sicheren Gebiet leben. Denn extreme Wetter-Ereignisse nehmen zu und es läßt sich kaum vorhersagen, in welcher Region sie auftreten werden. Zum anderen stellen wir fest, dass eine große Anzahl von Kommunen nicht versichert sind.
Das ist so nicht hinnehmbar. Auch hier brauchen wir einen Bewußtseinswandel. Deshalb lade ich auch die Kommunalvertreter zum Versicherungsgipfel ein.
Sechstens: Unter Federführung des Innenministeriums werden solche Großschadensereignisse künftig einmal im Jahr trainiert, um die Zusammenarbeit aller Beteiligten zu verbessern.
Siebtens: Künftig wird es eine regelmässige Flußbeschau geben. Fachleute von Landestalsperrenverwaltung und Feuerwehren überprüfen dabei den ordnungsgemäßen Zustand der Fließgewässer, um beispielsweise Verkrautung wirksam zu bekämpfen.
Achtens: Wir werden die bestehenden Hochwasserschutzkonzepte von Land und Kommunen im Lichte des Augusthochwassers anpassen.
Allerdings geht es um die Feinjustierung, nicht darum, jetzt einen baulichen Hochwasserschutz für 200-jährige Hochwasser zu realisieren.
Kurzum, meine Damen und Herren: Die Staatsregierung handelt vorausschauend, um den Hochwasserschutz, den Katastrophenschutz und die finanzielle Vorsorge weiter zu verbessern.

Klimawandel

Meine Damen und Herren,
Wir haben seit 2002 eine ganze Reihe von Naturkatastrophen erlebt, zum Glück meist regional begrenzt:
Sturmschäden etwa durch den Orkan Kyrill, Wasserschäden durch das Frühjahrshochwasser 2006, und die Schäden des Tornados von diesem Jahr im Rödertal. Und nun das Augusthochwasser 2010.
Es wird in Zukunft mehr solcher Ereignisse geben.
Wir wissen das so genau, weil wir uns schon im Jahr 1999 intensiv mit Fragen der regionalen Auswirkungen des globalen Klimawandels befasst haben.
Im Auftrag Sachsens wurde damals das erste regionale Klimamodell in Deutschland entwickelt. Es ist dann von allen Bundesländern sowie dem Umweltbundesamt übernommen worden, wird heute deutschlandweit eingesetzt und gemeinsam weiterentwickelt. Auf der Grundlage dieses Modells haben wir Klimaprojektionen erstellt und verschiedene Szenarien geschrieben, deren Horizont bis zum Jahr 2100 reicht. Das Ergebnis ist bekannt: Mehr Dürre, mehr Stürme, mehr Starkregen, mehr Hochwasser in Sachsen.

Meine Damen und Herren,
Sie werden jetzt vielleicht fragen: Was hat das Jahr 2100 mit dem Augusthochwasser 2010 zu tun? Nun, natürlich richten wir unser Augenmerk bei einer Katastrophe zuerst darauf, Leben zu retten und den Betroffenen in ihrer Notlage schnell zu helfen. So, wie wir es in den zurückliegenden Wochen getan haben. Aber: Nicht nur Vorsicht, sondern auch Vorsorge ist die Mutter der Porzellankiste. Deshalb haben wir auf der Basis unserer Klimaprojektionen Anpassungstrategien entwickelt, etwa für Land- und Forstwirtschaft.
Letztes Jahr haben wir zudem das Klima-Netzwerk Sachsen ins Leben gerufen. Ihm gehören Fachbehörden, Hochschulen und Forschungseinrichtungen an. Kurzum: unsere sächsische Klimapolitik ist ein Beispiel für vorausschauendes staatliches Handeln. Aber daraus muss rasch mehr werden. Der Klimawandel betrifft nicht allein den Staat oder die Land- und Forstwirte. Hausbesitzer zum Beispiel müsssen bauliche und finanzielle Vorsorge für den Fall von Sturm und Hochwasser treffen. Auch dort, wo es bisher keine Katastrophen gegeben hat.
Wir müssen auch die bestehenden Interessenkonflikte zwischen Hochwasserschutz und Naturschutz rasch auflösen, etwa im Nationalpark Sächsische Schweiz. Diesen gesellschaftlichen Anpassungsprozess wird der Freistaat Sachsen weiter engagiert begleiten und moderieren.

Schluss
Meine Damen und Herren,
ich halte noch einmal fest:
Behörden und Helfer haben während des Hochwassers besonnen reagiert. Staatsregierung und kommunale Familie haben rasch ein Hilfspaket für betroffene Familien, Unternehmen und Gemeinden geschnürt. Und wir ziehen die Lehren für die Zukunft.
Meine Damen und Herren,
wir alle in diesem Hohen Haus und alle Bürger in unserem Land müssen jetzt an einem Strang ziehen – und bitte möglichst in die gleiche Richtung. Es gilt, in einem großen Kraftakt die Schäden des Hochwassers rasch zu beseitigen und dafür zu sorgen, dass niemand in Not gerät. Vor allem aber dürfen wir über dieser Aufgabe nicht die Zukunft vergessen.
Verdoppeln wir unsere Kräfte, um so schnell wie möglich den Hochwasserschutz im ganzen Land voranzutreiben! Werben wir alle gemeinsam bei den Bürgern, den Unternehmen und Kommunen dafür, Vorsorge zu treffen.
Dann wird Sachsen auch in Zukunft eine gute Heimat sein.


Kontakt

Sächsische Staatsregierung

Regierungssprecher Ralph Schreiber
Telefon: +49 351 564 10300
Telefax: +49 351 564 10309
E-Mail: presse@sk.sachsen.de
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