100 Tage Frauenministerin Friederike de Haas zieht erste Bilanz, Teil 1
12.01.1995, 12:00 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)
Mit der zweiten Legislaturperiode hat der Ministerpräsident des Freistaates Sachsen die
Frauenpolitik in die Hand einer Ministerin gegeben. Am morgigen Freitag kann
Friederike de Haas, die Staatsministerin für Fragen der Gleichstellung von Frau und
Mann - so der vollständige "Titel" - auf die ersten einhundert Tage im Amt zurück-
blicken. Sie zieht eine erste Bilanz und stellt einige Schwerpunkte ihrer Frauenpolitik
vor.
- Eine sichtbare politische Konsequenz ist der innerhalb der CDU-Fraktion des
Sächsischen Landtages gebildete eigenständige Arbeitskreis "Frauenpolitik". Dadurch
wird die Bedeutung dieses Politikbereiches auch im Parlament unterstrichen.
- Im November wurde das Modellprojekt "Hilfen für Alleinerziehende in Problemsitua-
tionen" im Leipziger Raum eröffnet. Damit konnte eine gerade in ländlichen Regionen
bestehende Lücke an Beratungsangeboten geschlossen werden.
- Die Veranstaltungsreihe für Existenzgründerinnen "Lieber Chefin als arbeitslos"
wurde fortgesetzt und fand erneut eine äußerst positive Resonanz
- Mit einer Veranstaltung zu Mobiltätserfordernissen und Verkehrsplanung in Sachsen
wurden die besonderen Belange der Frauen beim Thema Öffentlicher Personen-Nahver-
kehr (ÖPNV) deutlich gemacht. Nutzerfreundlicher ÖPNV ist frauenfreundlicher
ÖPNV.
"Die wichtigste Aufgabe für die kommende Legislaturperiode ist, das Begonnene fortzu-
setzen und gezielt auszubauen. Vor allem auf dem Arbeitsmarkt muß sich noch viel
bewegen, damit von gleichen Chancen für Frauen die Rede sein kann", betont die
Ministerin. Frauenpolitik zu machen, werde auch weiterhin heißen, "sich einzumischen,
unbequem zu sein, Forderungen zu stellen, auf gleiche Rechte zu pochen". Ein
schwieriges Unterfangen, zumal in Zeiten, in denen sparsames Haushalten angesagt ist.
Aber gerade in Zeiten knapper Mittel sei es besonders wichtig, sich mit Zielstrebigkeit
und Engagement für Frauen einzusetzen. "Frauenpolitik darf kein Politikfeld für
sogenannte gute Zeiten sein. Frauenpolitik darf kein Luxus sein. Sie ist vielmehr
dringend notwendig, um den Verfassungsauftrag des Artikels 3 Abs. 2 Grundgesetz
sowie Artikel 8 der Sächsischen Verfassung in die Realität umzusetzen", unterstrich
Friederike de Haas.
Um hierbei voran zu kommen, hat sich die Ministerin folgende Schwerpunkte gesetzt:
1. Arbeitsmarktpolitik
Es gilt, Frauen noch besser an den arbeitsmarktpolitischen Fördermaßnahmen zu
beteiligen. Die bisherigen Initiativen, wie beispielsweise die Fördermöglichkeiten für
Frauen im Rahmen des arbeitsmarktpolitischen Programms, müssen konsequent genutzt
und ausgebaut werden.
Konkrete Vorstellung ist, daß insbesondere für Frauen, die wegen ihrer Familien längere
Zeit keiner Berufstätigkeit nachgegangen sind, der Neueinstieg in das Berufsleben durch
ein Wiedereinstiegsprogramm für Frauen erleichert werden soll. Auch wird eine
Förderung sogenannter Integrativer Unternehmen angestrebt. Diese Unternehmen, die
hauptsächlich am Arbeitsmarkt besonders benachteiligte Personen beschäftigen - dabei
aber unter marktwirtschaftlichen Bedingungen arbeiten -, sollen durch eine koordinierte
Zusammenführung aller Fördermöglichkeiten besonders unterstützt werden. Entspre-
chende Gespräche und Verhandlungen mit dem Sächsischen Staatsminister für Wirt-
schaft und Arbeit finden derzeit bereits statt.
2. Öffentlicher Dienst
Eine große Aufgabe wird die Umsetzung des Sächsischen Frauenförderungsgesetzes
sein. Die Bestellung der Frauenbeauftragten in den Behörden ist in vollem Gange. Nun
muß darauf hingewirkt werden, daß einschlägige Vorschriften beachtet und eingehalten
werden: Bespielsweise sind Frauenförderpläne zu erstellen, und es muß gewährleistet
sein, daß Frauen bei der Besetzung von Gremien entsprechend berücksichtigt werden.
Um die Auslegung des Gesetzes zu erleichtern, wird im Frühjahr 1995 ein Leitfaden
herausgegeben.
Eine bedeutsame Funktion auf dem Weg zur tatsächlichen Gleichberechtigung von Frau
und Mann haben die Gleichstellungsbeauftragten in den Gemeinden und Landkreisen.
Eine empirisch angelegte Studie soll Aufschluß geben über die Rahmenbedingungen
ihrer Arbeit, über Kompetenzen, Aufgaben und Ausstattung. Sie soll auch Einsichten
vermitteln in erfolgreiche Aktivitäten und aufzeigen, was für eine erfolgreiche Arbeit
nötig ist.
Ein wichtiger Schritt zur Verwirklichung der beruflichen Gleichstellung wird eine Teil-
zeitoffensive für den öffentlichen Dienst sein. Eine Umfrage in den Ministerien hat
ergeben, daß das Interesse an Teilzeitarbeit wesentlich höher ist als das Angebot ent-
sprechender Arbeitsplätze. Teilzeitarbeit ist zwar kein Allheilmittel, um die Situation
auf dem Arbeitsmarkt zu ändern; sie ist jedoch ein Schritt, um zu einer Verbesserung
beizutragen. "Hier muß der öffentliche Dienst mit gutem Beispiel vorangehen. Ich gehe
davon aus, daß ich für die Teilzeitoffensive eine breite Unterstützung durch meine
Kabinettskollegen erhalten werde", so die Ministerin.
3. Privatwirtschaft
Um die Bedingungen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt nachhaltig zu verbessern,
müssen auch in der Privatwirtschaft Änderungen erfolgen. Hier sind natürlich in erster
Linie die Tarifparteien gefordert. Damit sich schneller etwas bewegt, ist es aber auch
notwendig, die Verknüpfung öffentlicher Auftragsvergabe mit der Frauenförderung
in den Betrieben ernsthaft zu diskutieren und zu prüfen, in welchem rechtlichen Rahmen
eine Regelung zulässig ist. Zu diesem Zweck hat die Ministerin in Abstimmung mit dem
Staatsminister für Wirtschaft und Arbeit, Schommer, eine Arbeitsgruppe ins Leben
gerufen, die alle rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte prüft und Vorschläge für eine
zulässige Lösung erarbeitet.