Neujahrsansprache 1996 von Biedenkopf
27.12.1995, 12:00 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)
Neujahrsansprache 1996 von
Ministerpräsident Kurt Biedenkopf
Der sächsische Ministerpräsident wird am 31. Dezember 1995 im MDR-
Fernsehen eine Neujahrsansprache an die sächsische Bevölkerung richten.
(Übertragung im MDR: 31.12.95, 18.50 Uhr)
Nachfolgend der Wortlaut der kurzen Ansprache:
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger
Zu Beginn des Jahres, das heute zu Ende geht, fragte mich ein Journalist, was
ich mir für das neue Jahr vorgenommen hätte. Ich antwortete ihm: Mitzuhelfen,
daß Sachsen wieder ein Stück vorankommt.
Sie alle haben in den zurückliegenden zwölf Monaten mitgeholfen, unser Land
wieder ein gutes Stück voranzubringen. So wurde, nach all den Umbrüchen
und Veränderungen in den ersten Jahren unseres Neubeginns, 1995 ein Jahr, in
dem die Dinge mehr und mehr verläßlich wurden.
Katastrophenmeldungen von alten Unternehmen, die zusammenbrachen, von
Industriearbeitsplätzen, die zu tausenden verloren gingen, von immer
neuen Kündigungswellen zum Ende des Quartals gehören zum Glück der Ver
gangenheit an. Ein Stück Verläßlichkeit ist eingetreten. Wir wissen heute
besser, was wir von der Zukunft erwarten können. Wir kennen die Aufgaben,
die uns im kommenden Jahr bevorstehen.
Sicher haben wir für unser Land noch lange nicht den Zustand erreicht, den
wir uns wünschen. Noch immer bedrückt uns Arbeitslosigkeit in vielen Teilen
des Landes. Viele sorgen sich um die Sicherheit auf den Straßen und in ihrer
Nachbarschaft. Viel bleibt deshalb noch zu tun.
Aber vieles ist auch schon neu entstanden. Unser Land, seine Städte und
Dörfer, sind jedes Jahr schöner geworden. Sie werden auch in Zukunft von
Jahr zu Jahr schöner und lebenswerter werden.
Wenn uns die Ungeduld überkommt, weil uns alles zu langsam geht und zu
beschwerlich erscheint; dann sollten wir uns erinnern, wie es noch vor wenigen
Jahren um uns herum aussah.
Wer hätte damals gedacht, wir könnten allein für den Neubau und die
Erneuerung von Krankenhäusern mehr als drei Milliarden Mark ausgeben?
Inzwischen haben wir in diesem wichtigen Bereich vielfach westeuropäischen
Standard erreicht.
Unsere Straßen sind häufig verstopft: Aber nicht, weil sie enger geworden
sind, sondern weil die Motorisierung in Sachsen heute fast der im Westen
entspricht und der Ausbau der Straßen nicht mitgekommen ist. Überall entsteht
Neues, wird gebaut und investiert. Nicht nur Leipzig kommt: Ganz Sachsen
kommt!
Unsere Erwartungen bleiben groß. Aber wir sollten uns vornehmen, auch im
kommenden Jahr nicht den Boden der Realitäten unter den Füßen zu verlieren.
Dann können wir mit den neuen Herausforderungen fertig werden, vor denen
inzwischen ganz Deutschland steht.
Der Wettbewerb in Europa und der Welt ist härter geworden. Wir werden ihn
annehmen und immer ein Stück besser sein müssen als andere, wenn wir unser
Ziel erreichen wollen: Unseren Lebensstandard zu sichern, Kraft für alle zu
haben, die auf unsere Hilfe angewiesen sind, unsere Kultur und die
Schönheiten unseres Landes zu erhalten - und mit Ideen, Wissen und Können
unsere Zukunft zu sichern, in Deutschland und in Sachsen.
Wir haben allen Grund, unserer Kraft und unseren Fähigkeiten zu vertrauen.
Sie finden überall Anerkennung.
Weil die Produktivität bei VW in Mosel so hervorragend ist, hat das Werk den
Zuschlag für den weiteren Ausbau erhalten.
Im April werden wir die neue Messe in Leipzig einweihen. Sie wird eine der
modernsten in Europa sein.
Unser Handwerk gehört inzwischen zu den wichtigsten Arbeitgebern im
Lande. Die Qualität seiner Arbeit kann sich mit jedem Konkurrenten messen.
Nach Siemens wird ein weiteres Weltunternehmen der Mikroelektronik in
Dresden investieren, weil es von der Leistungsfähigkeit und der Motivation
sächsischer Mitarbeiter überzeugt ist.
Die Produkte sächsischer Unternehmen werden wieder im In- und Ausland
gekauft. Unsere industrielle Basis erweitert sich. Unser Mittelstand ist zum
Motor der wirtschaftlichen Entwicklung geworden.
Touristen aus Deutschland und der ganzen Welt kommen nach Sachsen, um
unsere Städte, ihre Theater und Konzerte zu besuchen und die Schönheit
unserer Landschaften zu genießen.
Die Leistungsfähigkeit unserer Verwaltungen wird anerkannt. Sie gehört zu
den wichtigsten Standortvorteilen unseres Landes im Wettbewerb um neue
Investoren.
Allen, die in den öffentlichen Verwaltungen des Landes, seiner Landkreise,
seiner Städte und Gemeinden arbeiten, möchte ich deshalb heute besonders
danken:
Den sächsischen Lehrerinnen und Lehrern: Sie haben in schwierigster Zeit
hart gearbeitet und unsere Schüler mit hohem persönlichen Einsatz durch die
Zeit der Veränderung begleitet.
Unserer Polizei: Sie hat zugleich die schwierige Umstellung auf die neue
Rechtsordnung gemeistert und ihren Dienst für unser aller Sicherheit gut
versehen.
Unseren Hochschulen: Sie haben das gesamte System der akademischen
Lehre und Forschung neu gestaltet, ohne daß die Qualität der Ausbildung
Schaden genommen hat.
Den Landräten und Bürgermeistern und ihren Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern: Sie haben ihre neuen Aufgaben in der kommunalen
Selbstverwaltung angepackt und dabei nicht auf die Uhr gesehen.
So können wir am Ende dieses Jahres zuversichtlich ins neue Jahr blicken. Und
mit dieser Zuversicht wollen wir weiter dafür arbeiten, daß Sachsen wieder ein
Stück vorankommt. Gemeinsam wollen wir aber auch hoffen, daß der Frieden
in Europa erhalten bleibt und daß er, nach schrecklichen Jahren des Krieges,
auch in das ehemalige Jugoslawien zurückkehrt.
Meine Frau und ich danken Ihnen für Ihr Vertrauen und Ihre Unterstützung.
Wir wünschen Ihnen und Ihren Familien ein gutes, gesundes und zufriedenes
Neues Jahr.