Sächsisches Versammlungsgesetz

05.03.2008, 14:17 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)

Rede von Justizminister Geert Mackenroth im Sächsischen Landtag

Der Gesetzentwurf der Staatsregierung für ein Sächsisches Versammlungsgesetz verfolgt das Ziel, die Würde und Ehre der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gegen Verunglimpfungen besser als bisher zu schützen. Er verfolgt nicht das Ziel, das verfassungsrechtlich geschützte Demonstrationsrecht abzuschaffen oder unverhältnismäßig zu beschneiden. Die Versammlungsbehörden sollen die Befugnis erhalten, gegen solche Versammlungen an einzelnen Orten und Tagen, die eine besondere Bedeutung für die Opfer des nationalsozialistischen Regimes haben, durch den Erlass von Auflagen oder Verboten vorzugehen.

A – Hintergrund des Gesetzesvorhabens

In den vergangenen Jahren sind öffentliche Demonstrationen mit neonazistischer Propaganda immer häufiger geworden. Seit Jahren versuchen Neonazis, die zivilen Kriegsopfer und die Zerstörung Dresdens für die Zwecke der eigenen Ideologie zu vereinnahmen. Dies hat am 13. Februar 2007 ein würdevolles Gedenken an die Kriegsopfer in Dresden unmöglich gemacht.

Auch sonst führen speziell rechtsextremistische Gruppen ihre Aufmärsche immer öfter bewusst an Orten und Tagen durch, die eine besondere symbolische Bedeutung für die Verfolgten des nationalsozialistischen Regimes und die Opfer des von diesem entfesselten Zweiten Weltkriegs haben. Damit wollen sie die Opfer zusätzlich verhöhnen, historische Zusammenhänge verfälschen, fremde Traditionen für sich vereinnahmen, das Versammlungsrecht anderer beeinträchtigen und den Rechtsstaat als ohnmächtig darstellen.

Doch die bisherige Rechtslage zwingt uns, dem fast tatenlos zuzusehen. Dabei besteht kein vernünftiger Zweifel, dass derartige Versammlungen an Orten des Gedenkens an die Opfer deren Würde in einer Weise beeinträchtigen, die auch durch den hohen Stellenwert der Versammlungsfreiheit in der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu rechtfertigen ist. Der Bund hat deshalb – vom Bundesverfassungsgericht bestätigt – das Holocaustmahnmal in Berlin für rechtsextremistische Aufmärsche gesperrt. Der Gesetzentwurf der Staatsregierung greift diesen Gedanken des Opferschutzes auf und überträgt ihn auf die sächsischen Verhältnisse.

B – Inhalt des Gesetzentwurfs

Der Gesetzentwurf sieht – wie gesagt – vor, dass die Versammlungsbehörden die Befugnis erhalten, Versammlungen, die an Orten oder Tagen der Erinnerung speziell an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft oder von Kriegen, aber auch an den Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft stattfinden sollen, von Auflagen abhängig zu machen oder zu verbieten, wenn zu befürchten ist, dass die Veranstaltung die Würde der Menschen verletzt, deren Schicksal mit diesem Ort oder Tag verknüpft ist.

Als Erinnerungsorte werden unter anderem die Synagogen und die Plätze der ehemaligen Synagogen, die Gelände ehemaliger Konzentrationslager in Sachsen, der Platz um die Frauenkirche in Dresden und Kriegsgräberstätten geschützt. Tage der Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und an die Personen, die gegen das Regime Widerstand geleistet haben, sind zum Beispiel der Holocaustgedenktag (27. Januar), der Tag des Attentats Graf v. Stauffenbergs auf Hitler (20. Juli) und der Tag des Reichspogroms, der 9. November.

C – Änderungen gegenüber dem geltenden Recht

Gegenüber dem geltenden Recht verbessert das Gesetz die Handlungsmöglichkeiten der Versammlungsbehörden:

An den besonders geschützten Orten und Tagen müssen die Versammlungsbehörden nicht länger prüfen, ob dort die Erinnerung an die Opfer präsent ist und welches Gewicht sie hat. Diese Einschätzung trifft das Gesetz selbst. Es kommt nur noch darauf an, ob die Versammlung nach Inhalt und Form mit der Erinnerungsfunktion vereinbar ist.

Auf diese Weise wird es den Rechtsextremisten künftig unmöglich, mit ihrem sogenannten „Heldengedenken“ in Dresden um den 13. Februar oder auf Kriegsgräberstätten die Opfer weiter zu verhöhnen.

Mit dem Gesetz darf aber nicht die Erwartung verbunden werden, dass künftig rechtsext-remistische Versammlungen jederzeit und allerorts unterbunden werden können. Das wollen wir nicht, und das lässt unsere Verfassung nicht zu.

D – Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs

Der Gesetzentwurf steht auf dem Boden der Verfassung. Auch die Kritiker des Vorhabens haben die verfassungsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten nicht bestritten, sondern le-diglich ein politisch motiviertes Unbehagen geäußert.

Die Kritik lautet:
1.: Der Entwurf sei nicht hilfreich, weil Demonstranten drei Straßen weiter gehen könnten – dies verkennt, dass wir Opfer und Orte schützen, nicht Demonstrationen verbieten wol-len;
und 2.: Der Gesetzentwurf richte sich allein gegen Rechtsextremisten. Auch dieses Argument zieht nicht – wir schützen über die Orte die Würde der Opfer. Wenn sie verhöhnt wird – etwa durch „Heult weiter, Dresdner“ oder „Do it again, Bomber Harris“ – greift das Gesetz.

Der Gesetzentwurf schützt die Menschenwürde – und damit den höchsten Wert unserer Verfassung. Dass der Opferschutz Teil des Schutzes der Menschenwürde ist, hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach wiederholt. In seiner Entscheidung zum Verbot einer rechtsextremistischen Versammlung am Holocaustmahnmal am 8. Mai hat das Gericht nicht den Hauch eines Zweifels daran angedeutet, dass Opferschutz an Erinnerungsorten und –tagen Vorrang vor der Meinungs- und Versammlungsfreiheit genießt.

Nun ist die Frauenkirche in Dresden nicht das Holocaustmahnmal in Berlin. Aber sie sind beide mit der Erinnerung an die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes und des von ihm verantworteten Zweiten Weltkriegs verbunden und haben insoweit eine vergleichbar herausragende Symbolkraft. Die Würde der Opfer wird beeinträchtigt, wenn durch Versammlungen oder Aufzüge an Gedenkorten oder zu Gedenktagen die historische Verantwortung des Nationalsozialismus für Verfolgungshandlungen, Kriegsverbrechen oder Kriegsopfer – von wem auch immer – geleugnet, verharmlost oder gegen die Verantwortung anderer aufgerechnet wird.

E – Worum es nicht geht

Dem Entwurf kann nicht vorgeworfen werden, eine Mehrheitsmeinung zu sanktionieren, staatlicherseits die Deutungshoheit über historische Geschehnisse, Orte und Jubiläen zu beanspruchen und die Ausübung der Versammlungsfreiheit im Sinne dieser Deutung zu beschneiden. Rechtsextremisten werden – im Rahmen des geltenden Rechts – für ihre Gesinnung an 358 Tagen im Jahr an fast allen Orten in Sachsen demonstrieren können, auch an Orten, die eine große Öffentlichkeitswirksamkeit versprechen. Nur an wenigen Tagen und wenigen Orten gibt es Gründe, die noch schwerer als die Versammlungsfreiheit wiegen. Diese bringt der Gesetzentwurf zur Geltung.

Ansonsten gilt: Die geschützten Orte sind keine allgemeine Sperrzone für Demonstrationen jeder Art. Wenn die Versammlungen den Charakter des Ortes wahren oder ihm gera-de in besonderer Weise Rechnung tragen – wie z.B. die Zusammenkünfte der vielen Menschen in Dresden am 13. Februar an der Frauenkirche – bleibt es selbstverständlich ungeschmälert bei dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht, sich friedlich ver-sammeln zu dürfen.

F – Ausweitung auf die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft ?

Eine andere Frage ist, ob das Gesetz auch die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft schützen sollte. Nach der Sächsischen Verfassung – ich verweise hier auf deren Präambel und auf den Artikel 116 – ist die Antwort ganz klar: Selbstverständlich verdienen auch die Opfer der SED und der Stasi gesetzlichen Schutz. Auch ihre Würde darf durch öffentliche Versammlungen nicht verletzt werden. Andererseits fanden würdeverletzende Aufmärsche im Freistaat bislang nicht statt, zumindest nicht an Orten oder Tagen der Erinnerung an die Opfer des SED-Regimes. Es fehlt also der konkrete Regelungsbedarf, jedenfalls aber derzeit die Erfahrung, gegen welche Auswüchse das Gesetz vorsorgen müsste.

Die Staatsregierung ist sich darüber im Klaren, dass der Rechtsextremismus nicht durch dieses Gesetz verschwinden wird, dass es dafür vielmehr breiter gesellschaftlicher Anstrengungen bedarf, die wir u.a. mit dem großen Forum in Riesa bereits kraftvoll ange-gangen sind. Und die Staatsregierung kennt auch die grundsätzlichen Bedenken derer, die sich aus bester freiheitlicher und demokratischer Überzeugung gegen Einschränkun-gen der Versammlungs- und der Meinungsfreiheit aussprechen. Dennoch bitte ich Sie um Unterstützung für den Gesetzentwurf. Tun Sie, was getan werden kann! Setzen Sie als Demokraten gemeinsam mit uns ein Zeichen und sprechen Sie sich für den Schutz der Opfer des Nationalsozialismus und des Krieges aus.


Kontakt

Sächsisches Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung

Pressesprecher Dr. Alexander Melzer
Telefon: +49 351 564 15011
Telefax: +49 351 564 16189
E-Mail: presse@smj.justiz.sachsen.de
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