Chic!? Ausstellung eröffnet morgen ohne russische Exponate
31.03.2022, 14:12 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)
im smac - Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz
Sonderausstellung »Chic! Schmuck. Macht. Leute.«
01. April – 28. August 2022 im smac
Am morgigen Freitag, 1. April 2022, eröffnet die große Sonderausstellung »Chic! Schmuck. Macht. Leute.« im SMAC – Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz. Im Mittelpunkt stehen der Mensch und sein Bedürfnis sich durch Kleidung, Schmuckstücke, aber auch dauerhafte körperliche Veränderungen wie Tätowierungen auszudrücken.
Kuratorin Yvonne Schmuhl über die Ausstellung:
»Kann man sich auch nicht schmücken? Ich glaube kaum. Das war in der Vergangenheit nicht anders als heute. Seit es Menschen gibt, schmücken sie sich. Es ist schlichtweg ein Grundbedürfnis.
So groß wie die Vielfalt der Schmuckelemente ist auch die Bedeutungs-spanne: Denn Schmuck ist nicht nur Zeichen der sozialen Zugehörigkeit, sondern auch Ausdruck von Individualität und ein geeignetes Mittel, den eigenen Status oder Reichtum zu verdeutlichen.
Die kultur- und epochenübergreifende Bandbreite der Formen und Beweg-gründe des Schmückens wollen wir in der Ausstellung stimmungs- und glanzvoll mit nationalen und internationalen Exponaten vermitteln.«
KULTURDILEMMA – KEINE ORIGINALE AUS RUSSLAND
Dass die Ausstellung um zwei wichtige Leihgaben aus Russland reduziert ist, ist leider kein Aprilscherz, sondern beinharte, aktuelle Realität: Die über 2.200 Jahre alte Mumie eines etwa 25-jährigen Reiterkriegers sollte mit seiner Kleidung, seinem Schmuck und seiner großflächigen Tätowierung in das breite Thema der Ausstellung einführen. Auch das älteste Schmuck-stück der Welt, ein mindestens 35.000 Jahre alter Armreif aus dunkelgrünem Gestein, kann Russland nicht verlassen.
Museumsdirektorin Sabine Wolfram über die Leihgaben aus Russland:
»Als Museum verstehen wir uns als Brückenbauer zwischen vergangenen Kulturen und der heutigen Gesellschaft. Dass die Brücke zu den russischen Institutionen und ihrem reichen Kulturschatz nun große Risse aufweist, bedauern beide Seiten zutiefst. Wir blicken auf eine zweijährige intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit russischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zurück, die seit dem 24. Februar 2022 gezwungener-maßen auf Eis liegt.
Dank der Unterstützung der russischen Kollegen haben wir seitdem einen Weg gefunden, die Mumie dennoch zu präsentieren: Das leihgebende Museum – das Institut für Archäologie und Ethnografie in Novosibirsk – hat einen 3D-Scan der Mumie angefertigt. Diesen projizieren wir im Maßstab 1:1 auf den leeren Vitrinensockel. Auch die Scans von Kleidung und Schmuck des Mannes sind auf Bildschirmen in der Ausstellung zu sehen. Somit ist unsere schmucke Ausstellung keinesfalls ihrer Hauptaussage beraubt: Sich zu schmücken ist ein grundlegendes Bedürfnis des Menschen. Und das verdeutlicht uns jedes einzelne der rund 350 Exponate!«
AUSSTELLUNGSGESTALTUNG
Ein Kaufhaus im ehemaligen Kaufhaus Schocken, dem Sitz des SMAC seit 2014: Das Szenografie-Büro BOK+GÄRTNER aus Münster lehnt die Gestaltung der Ausstellung an die Innenarchitektur moderner Warenhäuser an. Glanzvoll eingerichtete Schaufenster geben den Besucherinnen und Besuchern eine spannende Vorschau auf die thematischen Schwerpunkte der Ausstellung. Mitarbeitende am Info-Tresen versorgen die »Kundschaft« mit Antworten und Broschüren. »Verkaufsinseln« dienen als zentrale Orientierungspunkte und zur Präsentation der »Ware«. Weitere Objekte werden in freistehenden Tischvitrinen rund um die Inseln präsentiert.
Doch wie präsentiert man eine menschliche Mumie in einem Kaufhaus? BOK+GÄRTNER entschieden sich für eine Raum-im-Raum-Lösung, einem Pop up Store nicht unähnlich: In einem blauen Transport-Container sollte die originale Mumie des skythenzeitlichen Reiterkriegers ausgestellt werden. Der Container verweist auf die lange (geplante) Anreise dieses außergewöhnlichen Fundes aus Sibirien. Dieser geschlossene Raum schützt Besucherinnen und Besucher vor einer direkten Konfrontation mit den menschlichen Überresten.
FÖRDERER
Wir sind dankbar, dass die Ostdeutsche Sparkassenstiftung gemeinsam mit der Sparkasse Chemnitz uns dabei unterstützt hat, den 300-seitigen Katalog zur Ausstellung »Chic! Schmuck. Macht. Leute.« sowie ein 69-seitiges Booklet mit den Ausstellungstexten auf Deutsch und Englisch zu realisieren.
Patricia Werner, Geschäftsführerin der Ostdeutschen Sparkassenstiftung, zur Ausstellungseröffnung:
»Beinahe täglich verändern wir unser Äußeres, um dem persönlichen Schönheitsideal näher zu kommen: Ein zutiefst menschliches Bedürfnis, dessen Spuren sich bis weit in die Steinzeit zurückverfolgen lassen. Anhand zahlreicher Schmuck-Beispiele aus Vergangenheit und Gegenwart wird in der neuen Sonderausstellung »Chic! Schmuck. Macht. Leute.« der Facettenreichtum des Themas deutlich, dessen wissenschaftlich fundierte wie ästhetisch reizvolle Präsentation die Ostdeutsche Sparkassenstiftung gemeinsam mit der Sparkasse Chemnitz sehr gern unterstützt hat.«
Juwelier Roller unterstützte die Ausstellung mit einem großartigen Exponat: dem Modell einer keltischen Goldschmiede im Maßstab 1:12. Darüber hinaus leiht uns das Chemnitzer Traditionsunternehmen zahlreiche wertvolle, zeitgenössische Schmuckstücke wie exklusive Armbanduhren und elegante Schmuckensembles. Zur Chemnitzer Museumsnacht am 14. Mai 2022 demonstriert zudem eine Goldschmiedin ihre Arbeit und beantwortet die Fragen der Besucherinnen und Besucher.
Chic! Schmuck. Macht. Leute.
EINFÜHRUNG IN DIE AUSSTELLUNG
Die Corona-Maske zeigt es: Sich zu schmücken ist ein menschliches Grundbedürfnis. Bereits kurz nach Einführung der Maskenpflicht 2020 gibt es bunte, selbstgenähte Mund-Nase-Bedeckungen und teure Designerexemplare. Eine medizinische Notwendigkeit wird zum Schmuckaccessoire für alle.
Die Ausstellung geht Fragen nach, die wir uns auch heute stellen: Warum schmücken wir uns? Womit schmücken wir uns? Was wollen wir damit ausdrücken?
Denn seit es Menschen gibt, schmücken sie ihre Körper und gestalten Schmuck. Sie tragen ihn offen oder verborgen. Seine Botschaft ist für alle oder nur für Eingeweihte verständlich. Mit Schmuck steigern Menschen ihre Attraktivität. Sie zeigen ihre Macht. Sie passen sich den Normen an oder protestieren gegen sie. Und um gesellschaftlichen Schönheitsidealen zu entsprechen, nimmt manch einer auch Schmerzen auf sich.
Dem Phänomen des Schmückens nähert sich die Ausstellung »Chic! Schmuck. Macht. Leute.« in fünferlei Hinsicht: Körpermodifikationen, Herstellung & Material, Mode & Accessoires, Status & Bedeutung und mit einer glitzernden Schatzkammer.
DIE MUMIE – SCHMUCKER MANN AUS DEM EIS
Ausgangspunkt der Ausstellung sollte eigentlich ein ganz besonderer Fundkomplex der Archäologie sein: eine über 2200 Jahre alte Bestattung aus Sibirien.
Der mumifizierte Körper eines etwa 25-jährigen Mannes erhielt sich unter einem Grabhügel im Permafrost inklusive seiner Kleidung und dem prächtigen hölzernen Halsreif. Sein Körper wies eine große Tätowierung mit einem stilisierten Fabelwesen auf. Status und kulturelle Zugehörigkeit sind an dem jungen Verstorbenen und seinen Beigaben abzulesen. Vor allem aber zeigt die Mumie: Sich zu schmücken – in welcher Form auch immer – ist ein uraltes Grundbedürfnis des Menschen zu allen Zeiten und an jedem Ort.
Aufgrund des Kriegs in der Ukraine und der damit einhergehenden Sanktionen können wir die Mumie leider nicht im Original präsentieren. Stattdessen zeigen wir eine Projektion des 3D-Scans des Körpers, der Kleidungsbestandteile und des Schmucks.
Kuratorin Dr. Karina Iwe über die Highlights der Ausstellung:
»Obwohl das originale Exponat nicht nach Chemnitz kommen konnte, dürfte die Inszenierung und Aussagekraft der menschlichen Mumie aus Sibirien die Besucherinnen und Besucher magisch anziehen. Der projizierte Scan zeigt deutlich, wie eindrucksvoll sich der junge Reiterkrieger buchstäblich mit Haut und Haaren sowie seiner großflächigen Tätowierung im Permafrost des Altaj-Gebirges erhalten hat. Faszinierend ist auch die Qualität seiner Kleidungsstücke: Overknee-Stiefel aus Filz, Wolle und Leder, ein warmer Mantel aus Lamm-, Fohlen- und Zobelfell mit angeschneidertem Sitzlappen und vor allem seine Filzkappe. Diese Kopfbedeckung fasziniert mich so sehr, da sie die Form eines Vogels hat – einem in der Vorgeschichte symbolisch aufgeladenen Tier. Die Spitze der Kappe ist als Vogelkopf ausgebildet, die schmalen Ohrenklappen sind die Vogelbeine, zierliche Tiere aus Holz sind an der Seite und an der Spitze angebracht – schon diese Kopfbedeckung allein ist ein Meisterwerk. Er trägt die perfekte Kleidung für ein Leben in frostigen Höhenlagen von über 2.300 Metern.«
KÖRPERMODIFIKATIONEN – VON SCHMERZ, LUST UND IDEALEN
»Ich finde Tattoos hässlich«, empört sich Burkhard (66) in einem Interview an einer Hörstation. »Ich wollte gegen meine Eltern rebellieren und zu den Älteren dazugehören«, meint dagegen Alex (42). Und Nadine (37) fühlt sich mit ihrem fast vollständig tätowierten Körper einfach nur schön. Tätowierungen sind die eine Art, am menschlichen Körper Veränderungen vorzunehmen. Brave, stylische oder ganz und gar abenteuerliche Frisuren und Bärte sind eine andere, dafür aber schmerzfreie Variante. Eine Reihe römischer Portraitköpfe lässt die Variationsbreite an Haartrachten in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten ahnen.
Doch die Vergangenheit zeigt, dass der Mensch bereit ist, nahezu alle seine Körperteile umzuformen: Hierzu zählen gefeilte Zähne, deformierte Schädel und Füße und nicht zuletzt die modernen Intim-Piercings. Entsprechend gehören Perücken, Schminkutensilien, Korsett und Busenformer ebenso zu den Exponaten wie eine vorgeschichtliche Tätowiernadel und ein Turmschädel.
HERSTELLUNG & MATERIAL – ALLES BEGINNT MIT EINEM LOCH
Die ersten Schmuckobjekte werden aus dem hergestellt, was die Natur offensichtlich bereithält. Dazu gehören tierische, pflanzliche und mineralische Materialien. Ein einfaches Loch genügt, um eine Muschel oder einen Tierzahn am Körper zu tragen.
Aber es sind schon früh Rohstoffe zu finden, die über große Entfernungen transportiert werden. Der erste »Kunststoff« ist die Bronze – eine Legierung aus Kupfer und Zinn –, die aufgrund ihrer Härte und ihres goldenen Glanzes oft und gerne zu Schmuckstücken verarbeitet wird. Gold selbst ist auch in der Vorgeschichte ein Material, das wohlhabenden Menschen vorbehalten ist und vergleichsweise selten vorkommt.
Die Spuren an den Schmuckstücken erzählen von ihrer Herstellung, Nutzung und Umarbeitungen. Immer mehr Wissen und Fähigkeiten waren nötig, um immer aufwändigere Objekte herzustellen. Verbreitet und weitergereicht werden sie durch Wanderhandwerker und in Werkstätten. Häufig spezialisieren sich einzelne Handwerker auf bestimmte Techniken.
Ein Juwelier aus den römischen Provinzen ließ eine Szene aus seinem Berufsleben auf seinen Grabstein meißeln. Zu sehen ist er in einem Verkaufsgespräch mit einem Kunden. In der Ausstellung erklärt eine interaktive Medienstation die einzelnen Bestandteile der Szene.
MODE & ACCESSOIRES – TRENDS KOMMEN UND GEHEN
Schon mal eine römische Tunika oder einen mittelalterlichen Gugel angehabt? Möglich wird das für Kinder und Erwachsene in den Umkleidekabinen im Bereich Mode & Accessoires. Umgeben von heutiger Designerkleidung der Marken Bruno Banani, Harald Glööckler sowie dem Gewinner des europäischen Fash-Awards 2021 Lars Witkowski durchläuft die Ausstellung in einem wilden Ritt durch die Geschichte verschiedene Kleidungsstile.
Sie verdeutlichen: Der Körper zeigt sich überwiegend gekleidet und in Bewegung. Und jeder Körperteil lässt sich mit Schmuck akzentuieren. Objekte, die mit Kleidung in Erscheinung treten, bezeichnen wir heute als Accessoires - also ein modisches Zubehör zur Kleidung. Aber ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Schmuckobjekte selten nebensächlich sind. Im Gegenteil, sie weisen einen komplexen Charakter auf.
Kleidung dreht sich nicht nur um den Schutz vor Kälte und Nässe. Sie trägt gemeinsam mit Schmuck zum gesellschaftlichen Auftritt einer Person oder in einer Gruppe bei und ist Mode und Normen unterworfen.
STATUS & BEDEUTUNG – VIEL GESAGT, AUCH OHNE WORTE
Die bewusste Verwendung oder gerade auch die Ablehnung von Schmuck ist Thema dieses Bereiches, in dem dezidiert die Fragen »Warum schmücken wir uns?« und »Was drücken wir damit aus?« gestellt werden. Die Antworten sind ganz unterschiedlicher Natur: So werden Lebensabschnitte, Wünsche, Positionen innerhalb der Gesellschaft, religiöse Zugehörigkeit oder auch politische Haltungen durch Schmuck ausgedrückt.
Im Laufe eines Lebens nutzen Menschen viele Symbole, die ihre aktuelle Lebensphase verdeutlichen: Zu den bekanntesten zählen sicher die Eheringe, bis dass der Tod die Eheleute scheide.
Für Archäologinnen und Archäologen, zu deren Hauptquellen Gräber gehören, besonders gut fassbar sind Symbole und Schmuckstücke, die speziell am Lebensende zum Einsatz kommen. Teilweise sind sie Ersatz für etwas, das im Leben verwehrt blieb, wie die Totenkrone, die Unverheirateten mitgegeben wird.
Im Mittelalter existierte sogar ein ganzes System an Symbolen und Zeichen, das die Gesellschaft oft hierarchisch unterteilte. Eine Vielzahl an lesbaren Merkmalen der Kleidung, Insignien oder auch der Haarmode werden genutzt. So konnte man sich innerhalb kirchlicher, politischer und auch sozialer Bereiche positionieren.
Zugleich bestand aber auch für die Betrachtenden die Möglichkeit, ihr Gegenüber anhand äußerlicher Zeichen einzuordnen. Die Amtstracht an Universitäten spiegelt noch heute dieses System.
SCHATZKAMMER – VON DIAMANTEN, GOLD UND VERBRECHEN
Heute ist es das Diamantcollier, in der Bronzezeit eine prachtvolle Kette aus Bernstein. Material, Technik, Mode und Bedeutung machen den Wert aus, und jede Gemeinschaft setzt auf andere Werte. Wir zeigen den kostbarsten Schmuck vieler Kulturen: vom ältesten Schmuckstück der Welt bis zum Gold der Griechen und Etrusker. Auch der keltische Sensationsfund aus Sachsen aus Pirna- Pratschwitz wird hier zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert.
Ob am Körper einer Frau oder im Grünen Gewölbe, teurer Schmuck lockt immer auch Diebe an, wie die Ausstellung ebenso beleuchtet.