Sachsen braucht ein solidarisches "Gemeinsam"

01.09.2015, 11:48 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)

Fachregierungserklärung der Sächsischen Staatsministerin für Gleichstellung und Integration, Petra Köpping, zum Thema „Gesamtaufgabe Asyl – gemeinsam für Unterbringung, Sicherheit und Integration“ am 1. September 2015

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident,
meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen,

„gemeinsam“ ist das Motto dieser Regierungserklärung. Deshalb stehen wir, Kollege Ulbig und ich, auch beide vor Ihnen, denn die Themen Asyl und Integration müssen wir stets zusammen denken und in der jetzigen Situation sollten wir sie auch gemeinsam angehen.
Nur in dieser „Gemeinsamkeit“ liegt die Chance zur Verbesserung der Situation, denn alle, die eine Verantwortung für die „Gesamtaufgabe Asyl“ sehen, sind mit der derzeitigen Lage, d.h. dem derzeitigen Umgang mit den Geflüchteten, den fremdenfeindlichen Ausfällen und Übergriffen und dem damit verbundenen Bild Sachsens in der Öffentlichkeit ziemlich unzufrieden.
Doch diesen Unzufriedenen sage ich auch: Fragen Sie nicht nur, was andere nicht tun, sondern fragen Sie sich, was Sie selbst bewegen und in welcher Verantwortung Sie etwas bewegen können.
Die Analyse unserer derzeitigen Lage können wir meiner Ansicht nach sehr kurz halten: Das Weltgeschehen erreicht uns nicht mehr nur über das Fernsehen, sondern es kommt gerade in unseren Gemeinden, Stadtvierteln und Nachbarschaften an. Und genau darauf waren wir nicht gut vorbereitet und müssen das nun schnellstens nachholen.
Und deshalb lassen Sie uns jetzt, wo es um das integrationspolitische „Wie weiter?“ geht, offen über das eben genannte „wir“ sprechen!
Kollege Ulbig hat unsere Forderungen und Erwartungen an Europa und den Bund schon erläutert.
Das ist richtig. Solidarität muss auch innerhalb der EU gelten. Und der Bund hat richtigerweise drei große Aufgaben: Information über das deutsche Asylrecht im Ausland, Beschleunigung der Antragsverfahren und Bereitstellung von mehr Mitteln zur gelingenden gesellschaftlichen Teilhabe der Angekommenen.
Und wer die Eckpfeiler unserer sächsischen Integrationspolitik kennen möchte, der möge einfach in unserem Koalitionsvertrag nachsehen:
Schon im Herbst letzten Jahres – keiner kannte islamophobe Abkürzungen und nur wenige erahnten die Flüchtlingszahlen – hat sich diese Koalition in ihrem Koalitionsvertrag auf ein progressives und verbessertes Verständnis von Teilhabe für unsere zugewanderten Mitmenschen geeinigt. Dieser Abschnitt im Koalitionsvertrag ist übrigens ein über die Grenzen von Sachsen hinaus viel gelobtes Kapitel.
Und genau das setzen wir jetzt um und machen damit unsere integrationspolitischen Hausaufgaben:

Unser erstes Augenmerk galt der sozialen Betreuung der Flüchtlinge. Mit einer neu geschaffenen Förderrichtlinie geben wir den Landkreisen und kreisfreien Städten 4,6 Millionen Euro in diesem Jahr an die Hand, um ihre kommunale Flüchtlingssozialarbeit zu verbessern. Im kommenden Jahr ist ebenfalls so viel vorgesehen. Damit verbessern wir aber nicht nur die Lage der Flüchtlinge, sondern es entsteht ein Netzwerk aus engagierten und vor Ort gut vernetzten Aktiven, die zu den Motoren von Austausch und Begegnung in unseren Städten und Gemeinden werden.
Den zweiten Blick haben wir auf die vielfältigen Integrationsprojekte in diesem Land geworfen. Erstmals fördert der Freistaat in Größenordnung mit einer eigenen Förderrichtlinie die wunderbare und notwendige Integrationsarbeit der Vereine, Kirchen, freien Träger und Kommunen. 3,5 Millionen Euro stehen dafür in diesem Jahr und 4,5 Millionen im kommenden Jahr zur Verfügung. Damit stehen Mittel für Patenschaften, ehrenamtliche Sprachkurse, Beratungsprojekte und die vielen kleinen und großen Aktivitäten vor Ort bereit. Auch den Bereich der psychosozialen Beratung und Begleitung von Geflüchteten können wir im Rahmen dieser Richtlinie fördern. Ich bin sehr froh, dass wir als Land hier in eine so umfangreiche Unterstützung unserer haupt- und ehrenamtlich Aktiven einsteigen. Wir reden über nichts anderes als das Fundament, auf dem wir alle weiteren Bemühungen aufbauen. Wenn wir den sozialen Frieden und das Engagement vor Ort ausgleichen und bewahren können, ist uns ein großer Schritt zu einem weltoffenen Land gelungen.
Die Idee anderer Bundesländer greifen wir auf. Wir werden den Asylsuchenden schon in den ersten Wochen ihrer Ankunft in Sachsen eine erste Orientierung über die Bandbreite unseres Zusammenlebens vermitteln. Wir werden von unseren gesellschaftlichen Grundwerten bis hin zur Funktionsweise unserer Ticketautomaten informieren. Und es gehören erste Sprachkenntnisse dazu. Wir erstellen dazu mit den Volkshochschulen ein eigenes, sächsisches Wegweiser-Konzept und starten in Kürze dazu ein Pilotprojekt.
Ja, je eher wir die Menschen auf ihren Aufenthalt bei uns vorbereiten, desto weniger Konflikte werden entstehen.
Ebenfalls sehr umfangreich in unserem Koalitionsvertrag beschrieben, findet sich die Verbesserung der Integration von Zugewanderten in den Arbeitsmarkt. Hierzu wird es Ende dieses Monats auf Einladung des sächsischen Wirtschaftsministers und mir einen Fachtag mit allen Arbeitsmarktakteuren geben. Hier wollen wir zeigen und beschreiben, wo und wie die guten Beispiele funktionieren und an welchen Stellen noch Hürden und Hindernisse existieren.
Ja, es ist der Höhepunkt gelingender Integration, wenn wir freie Ausbildungs- und Arbeitsplätze mit Migrantinnen und Migranten besetzen können.
Ein Thema, das auch im Koalitionsvertrag mit einem grundlegenden Satz verankert ist, ist natürlich der Zugang zum Spracherwerb. Wir stehen heute noch immer vor der Situation, dass erst diejenigen einen Zugang in die Integrationskurse des Bundes erhalten, die einen Aufenthaltstitel haben. Angesichts der Zugangszahlen und der hohen Schutzquote für viele Länder reicht dieses Kriterium für eine frühe sprachliche Integration und für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht mehr aus.
Das hat im Laufe des Jahres auch der Bund bemerkt und steuert nach. Und wir als Freistaat werden ergänzend zu den Möglichkeiten der Bundesregierung einen weiteren Zugang zum Erwerb der deutschen Sprache schaffen. So steht es im Koalitionsvertrag der Landesregierung.
Doch bemerken wir gerade an vielen Stellen, dass es mit Geld und Projektideen nicht allein getan ist. Wir benötigen auch die dafür ausgebildeten Menschen: die Dozentinnen und Dozenten, Sozialarbeiterinnen und -arbeiter, die Betreuerinnen und Betreuer. Wir setzen große Hoffnung in deren Arbeit und verbinden damit große Erwartungen. Doch wie finden wir all diese Menschen?
In unserem Land leben viele gut ausgebildete und engagierte Migrantinnen und Migranten. Sie sind die besten Brückenbauer für beide Seiten – sowohl für die Neuzuwanderer, als auch für die Mehrheitsgesellschaft. Sie besitzen Kompetenzen, die wir heute an vielen Stellen dringend benötigen – von der Sprache bis hin zum Wissen, wie sich das interkulturelle Zusammenleben am besten gestalten lässt. Diesen Schatz sollten wir gemeinsam heben und hier sollten wir alle demnächst gemeinsam weiter denken und entsprechende Maßnahmen festlegen!
Um auch in der Staatsregierung immer wieder gemeinsame Wege zu finden, dafür haben wir seit Ende letzten Jahres zwei Gremien installiert:
Einen monatlich tagenden Lenkungsausschuss, der alle Ressorts und die Kommunen an einen Tisch bringt. Und ein Verbändegespräch, das für einen landesweiten Austausch mit den Vereinen und Verbänden sorgt.
Gerade den Lenkungsausschuss gilt es meiner Meinung nach noch einmal kräftig zu stärken, denn wir als Staatsregierung müssen uns einig sein und es immer wieder unter Beweis stellen, dass die aktuelle Frage der höheren Flüchtlingszahlen keine einfache fachpolitische Frage des Inneren oder der Integration ist, sondern alle Ressorts betrifft. Von der Verwaltung der Liegenschaften durch das Finanzministerium über den Umgang mit den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen im Sozialministerium bis hin zu DaZ-Klassen des Kultusministeriums hat jedes Ressort seine Anstrengungen.
Im Lenkungsausschuss sind ebenso unsere sächsischen Kommunen vertreten. Und hier möchte ich offen sagen: Wir haben die Landkreise, Städte und Gemeinden ebenfalls als Integrationsakteure wahrzunehmen. Und wenn wir sie mit diesem Blick betrachten und ernst nehmen, dann können wir sie auch unterstützen – bei der sozialen Betreuung, bei der Schaffung von Arbeitsgelegenheiten, beim Aufbau von Integrationsnetzwerken und vielen weiteren Maßnahmen.
Wir brauchen ein solidarisches „Gemeinsam“ und das rege ich auch in meinen zahlreichen Vor-Ort-Terminen immer wieder an.
Um all das zusammen zu tragen, um die Verantwortung aller Verantwortungsträger zu verdeutlichen und das Bild des vernunftvollen Sachsens zu stärken, rege ich einen landesweiten Integrationsgipfel an, der das gemeinsame Vorgehen all derjenigen, die an einem konstruktiven Austausch über das Wie des Umgangs mit den Geflüchteten interessiert sind, in den Vordergrund stellt.
Und gerade als langjährige Bürgermeisterin, Landrätin und Landtagsabgeordnete sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen:
Auf der Tagesordnung steht nicht die Frage, OB wir die Menschen unterbringen wollen; sondern WIE wir ihnen schnellst- und bestmöglich in unseren Städten und Gemeinden eine, wenn manchmal auch nur vorübergehend, neue Heimat geben.
Hier hat jede und jeder Abgeordnete seine landespolitische Verantwortung zu tragen. Und da darf es weder ein Verhindern von Umzügen an gewissen Aufnahmestandorten geben, noch eine Scheindiskussion, wann das Boot voll sei.
Hier gilt es einzig und allein Haltung für das Grundrecht auf Asyl einzunehmen und sich für eine gelingende Unterbringung und Integration der Menschen bei uns in Sachsen einzusetzen!
Nach über 170 landesweiten Veranstaltungen allein im letzten Dreivierteljahr kann ich Ihnen nur sagen, dass jede einzelne Diskussion vor Ort gewinnbringend und sinnvoll war! Genau dieses erachte ich als unsere verfassungsgemäße Pflicht – und es macht zudem in den allermeisten Fällen wahre Freude, mit den Menschen die Fragen von Integration zu diskutieren.
Und lassen Sie uns bitte dabei sauber unterscheiden:
Einerseits reden wir über den kurzfristigen, akuten Umgang mit den gestiegenen Flüchtlingszahlen; andererseits reden wir über die langfristige Teilhabe von den zu uns kommenden Menschen am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und letztendlich auch politischen Leben hier in Sachsen.
Und genau für diese langfristige Perspektive, die eine enorme gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt, nämlich mit Blick auf den Arbeitsmarkt, die Demografie, das interreligiöse Miteinander, die schulische Bildung, den Ausbildungsmarkt, unsere Wirtschaft, genau für diese Zukunft müssen wir uns erst noch richtig fit machen.
Wir stehen ganz am Anfang, wenn wir über interkulturelle Kompetenz in den Amtsstuben reden, über Trainings und Austausche für unsere Beamtinnen und Beamten, über den Ansatz von Diversity Management – letztlich über wirklich gelebte Willkommenskultur in all unseren Ämtern und Behörden.
Das ist die Konsequenz von Integration. Und das ist das Ziel. Und gleichzeitig die große Chance – für den Sächsischen Landtag und die Staatsregierung und für unser Land!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
in jedem Vor-Ort-Gespräch wird deutlich:
Ohne Ehrenamt stößt hauptamtlicher Einsatz an seine Grenzen:
Die vielen engagierten Menschen im Land übersetzen, begleiten, erklären, lehren, führen zusammen, beschwichtigen, beraten, motivieren und bestärken mit einem Einsatzwillen, der einem teilweise übermenschlich vorkommt.
Ohne dieses zivilgesellschaftliche Umfeld fällt es auch den Maltesern, den Johannitern, dem DRK und all den anderen Akteuren schwer, die Ihnen übertragenen Herausforderungen zu meistern.
An dieser Stelle möchte ich mein großes Dankeschön an alle Engagierten ausdrücken:
Sie schließen im Moment nicht nur viele Lücken. Nein, ihnen gelingt auch, was einem Sprachkurs oder einer politischen Entscheidung nie möglich wäre. Sie nehmen die Menschen mit, sie begleiten und unterstützen sie als Mitmenschen und als Mitglieder unserer Gesellschaft, unabhängig davon, wie lange sie bleiben werden. Dafür gebührt Ihnen der ausdrückliche Dank der gesamten Staatsregierung.

Und ich sage deutlich:
Wer dieses Engagement nicht aufbringen kann oder möchte, den soll man nicht zwingen, - aber er verpasst etwas Wunderbares: nämlich ein herzliches Miteinander und enorme Dankbarkeit!
Wer dieses Engagement allerdings behindert, verunglimpft oder die Engagierten gar tätlich angreift, der stellt sich außerhalb unserer Gesellschaft. Der erntet meine Verachtung.

Ja, wir Sachsen liefern gerade in der Außenwirklung ein denkbar schlechtes Bild ab. Aber wir Sachsen, wir alle, haben es genauso in der Hand, unsere Bild durch kluges und gemeinsames Handeln wieder zu verbessern. Denn es gibt eine Welle der Hilfsbereitschaft, der Solidarität, der Vernunft. Und noch nie war sie so groß.
Wir alle sollten dieses Engagement unterstützen, wir sollten Teil dieses Engagements sein und sogar mit gutem Beispiel voran gehen.
Ich hoffe, wir haben Sie hierbei an unserer Seite.
Dankeschön.


Kontakt

Sächsische Staatsministerin für Gleichstellung und Integration

Pressesprecherin Alexandra Kruse
Telefon: +49 351 564 54910
Telefax: +49 351 564 54909
E-Mail: pressegi@sms.sachsen.de
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