Rede von Ministerpräsident Stanislaw Tillich zur Bundesratssitzung am 30.09.2011

30.09.2011, 10:36 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)

'- Es gilt das gesprochene Wort -'

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

der Deutsche Bundestag hat das Gesetz zur Ertüchtigung des Rettungsschirms gestern mit großer Mehrheit beschlossen. Heute wird es hier von uns beraten.

Dabei geht es – anders als uns ein Teil der Medien vermitteln wollte – nicht um die Kanzlermehrheit, sondern um Europas Zukunft!

Der Inhalt des Gesetzes ist vergleichsweise schnell umrissen: Das Garantievolumen Deutschlands für die EFSF wird von 123 Mrd. Euro auf 211 Mrd. Euro angehoben. Weiter wird der Instrumentenbaukasten für die EFSF erweitert.

Als der Bundesrat im April 1998 über die Einführung des Euro abstimmte, hat Sachsen sich enthalten. Sachsen war seinerzeit das einzige Land, dass die Bedenken der Bundesbank um die Geldwertstabilität aufgegriffen hat und Gründlichkeit vor Schnelligkeit anmahnte.

Dennoch wurde der Euro eingeführt. Die Zweifel aus dem Jahr 1998 sind mittlerweile zur traurigen Gewissenheit geworden. Die Hoffnung, irgendwie werde sich schon von alleine eine gesamteuropäische Stabilitätskultur einstellen, hat sich nicht erfüllt. Häufig wurde Wohlstand auf Pump finanziert. Hinzu traten hohe Lohnsteigerungen in einigen Mitgliedstaaten, während Deutschland seine Lohnstückkosten gering hielt.
Es ist demnach nicht allen Teilnehmerländern gelungen, ihre Schuldenstände auf das volkswirtschaftlich Gebotene zu reduzieren und die Maastricht-Kriterien zu erfüllen. Wir sind von dauerhaft soliden Staatsfinanzen in der Eurozone weit entfernt.

Dieses Defizit hat die Finanzkrise nun schonungslos offen gelegt. Das Vertrauen in die gemeinsame Währung schwindet und stellt hohe Risiken für das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung dar.

Die Märkte akzeptieren die hohen Schuldenstände nicht mehr. Die defizitär wirtschaftenden Teilnehmerstaaten bestraft der Markt mit hohen Zinsen und nimmt ihnen damit Gestaltungsmöglichkeiten.

Die Finanzkrise kann nach meiner festen Überzeugung nur bewältigt werden, indem die Schulden wieder auf ein verträgliches Niveau zurückgeführt werden.

Denn auch Deutschland ist nicht (mehr) in der Lage, die Schulden europäischer Problemländer mit zu übernehmen. Wir haben selber Schulden von 2 Billionen Euro oder 83% des Bruttoinlandsprodukts. Wollten wir auf die im Maastricht-Vertrag festgelegten 60% runter, müssten wir 575 Milliarden Euro tilgen. Das sind 20 Jahre lang knapp 29 Milliarden Euro pro Jahr. Allein das ist schon ein Kraftakt.

Unsere Kinder und Enkel haben ohnehin aufgrund der demografischen Entwicklung schon weit mehr Lasten zu schultern, als uns lieb sein kann. Reformen im Bereich der sozialen Sicherung werden stärker als bisher bereits unter dem Gesichtspunkt der Reduzierung der Lasten künftiger Generationen getroffen werden müssen.

Wir müssen diese Lasten durch eine Sparpolitik oder durch dynamisches Wachstum reduzieren. Dabei brauchen wir auch eine Strategie für den Fall, dass wir in den nächsten Jahren wieder auf das geringe Durchschnittswachstum der letzten 10 Jahre, das rund 1 % betrug, zurückfallen.

Auf europäischer Ebene müssen die Versäumnisse bei der Einführung des Euro repariert werden. Die Sächsische Staatsregierung ist folgender Aufassung:
(1) Wir wollen der Verstärkung des europäischen Rettungsschirmes EFSF im Bundesrat nicht widersprechen.
(2) Zugleich aber soll dies nicht bedingungslos erfolgen. Ein „weiter so“ darf es nicht geben.

Dazu muss der Stabilitäts- und Wachstumspakt weiter gehärtet werden. Die Einigung der Regierungen der Euro-Länder am Mittwoch dieser Woche, das Paket zu verschärfen, geht in die richtige Richtung.

Die Stabilitätskriterien müssen hart sein, die Sanktionen automatisch erfolgen. Der Vorschlag des scheidenden EZB-Chefvolkswirts Jürgen Stark, eine unabhängige Institution im Sinne eines echten Stabilitätsrates mit der Möglichkeit zur Sanktion der Euroländer zu schaffen, ist eine Möglichkeit die Stabilität in der Eurozone zu erhalten.

Eine andere Möglichkeit besteht darin, bei der Europäischen Kommission anzusetzen. Das die Maastricht-Kriterien nicht eingehalten wurden, ist keine Schwäche des Euros. Es ist eine Schwäche der Kommission. Als Hüterin der Verträge hätte sie das vergangene Jahrzehnt dazu nutzen können, dieser Krise vorzubeugen.

Dass sie das nicht konnte, heißt für die Zukunft: Wir brauchen einen Stabilitätskommissar. Genau so wie der Wettbewerbskommissar Sanktionen verhängen kann, müsste der Stabilitätskommissar Sanktionen gegen Eurosünder verhängen können. Das wird den international eingetretenen Vertrauensverlust in unsere Währung wieder herstellen. Denn: Die Schwäche ist keine Folge von Währungsspekulationen, sondern Folge der Schwäche der Sanktionsmechanismen gegen Eurosünder.

Diese unabdingbar notwendigen Maßnahmen - für welche der beiden auch immer man sich entscheidet - gilt es in der Haushaltspolitik weiter zu untermauern. Schuldenbremsen in allen Eurostaaten sind dafür ein geeignetes Instrument.

Bundeskanzlerin Merkel und der französische Staatspräsident Sarkozy haben sich dafür eingesetzt, dass die Mitgliedstaaten bis Sommer 2012 eine entsprechende Regelung treffen.

Deutschland sollte mit gutem Beispiel vorangehen. Alle Bundesländer sollten eine Regelung für einen ausgeglichenen Haushalt bis Ende 2012 in ihre Verfassungen aufnehmen und die Schuldenbremse schon vor 2020 wirken lassen.

Eine Vergemeinschaftung von Schulden lehnt Sachsen ab. Aus diesem Grund wollen wir auch keine Euro-Bonds. Sie sind nichts anderes als die Institutionalisierung einer grenzenlosen Schuldenmithaftung, aber keine echte Lösung des Schuldenproblems.

Auch für die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität gilt, dass alle Hilfen an strenge Auflagen geknüpft werden müssen. Für eine Lösung der Krise darf es keine Tabus geben. Eine geordnete Umschuldung unter Einbeziehung der privaten Gläubiger sollte in Betracht gezogen werden.

Als ultimo ratio, wenn ein Staat nicht gewillt oder in der Lage ist, die Konvergenzkriterien dauerhaft zu erfüllen und seine Wettbewerbsfähigkeit durch Reformen herzustellen, muss die Möglichkeit geschaffen werden, die Eurozone unter Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft in der Europäischen Union wieder zu verlassen.

Der Mitgliedstaat hätte dann die Möglichkeit, mit Hilfe einer eigenen, sicherlich im Vergleich zum Euro schwächeren Währung, schneller wieder wettbewerbsfähig zu werden.

Zu einem glaubhaften Regelwerk gehört dann auch, dass die EZB wieder in den Rahmen ihres Auftrags zurückkehrt und ausschließlich eine Politik der Geldwertstabilität betreibt.

Auch müssen wir die erforderliche Reform des Bankensektors endlich umsetzen. Ich halte es z.B. für durchaus erwägenswert, dass Banken auch beim Erwerb von Staatsanleihen zu einer Eigenkapitaluntersetzung verpflichtet werden.

Bedingung für einen stabilen Euro ist die Rückkehr zu klaren Regeln und das auch tatsächlich wieder gilt, was in Gesetzen geschrieben und in den Europäischen Gremien gesagt wurde.

Deshalb lassen Sie mich an dieser Stelle noch kurz etwas zur in den Medien seit gestern diskutierten EFSF-Hebelung sagen. Ich kann davor nur dringend warnen. Die Landesbankenkrise sollte uns allen ein mahnendes Beispiel sein. Das zu übernehmende Risiko für die Garantiegeber würde nämlich durch derivative Instrumente mit Hebel vervielfacht. Abgedeckt würden zudem die zu erwartenden Verluste aus Kreditgewährungen Dritter an die Risikoländer. Dies würde den Interessen Deutschlands zuwiderlaufen.

Zusammengefasst: Vertrauen gewinnt Politik nur, wenn nicht in immer kürzeren Abständen immer neue Notmaßnahmen diskutiert werden, sondern ein klarer Plan entwickelt und verfolgt wird. Dabei darf sich Deutschland nicht überheben. Sachsen lehnt weitere neue deutsche Haftungsrisiken ab, die über die bereits vom Europäischen Rat auf den Weg gebrachten Hilfsmaßnahmen hinausgehen. Daher ist die Sächsische Staatregierung gegen eine Banklizenz für den EFSF. Und erst Recht gegen nicht wirklich kontrollierbare Hebelwirkungen.

Für hier und heute bedeutet dies: Das Eurofinanzsystem ist zwar angeschlagen, aber sehr gut lebensfähig. Wir wollen es wieder auf die Beine bringen, es stabilisieren.

Wir wissen auch: die wirtschaftlichen Verflechtungen im Euroraum sind so dicht gewebt, dass wir ihn jetzt nicht mehr schadlos auftrennen können. Daher gilt:

Sachsen widerspricht der vorgelegten Änderung des Stabilitätsmechanismusgesetzes nicht.

Die Sächsische Staatsregierung verknüpft damit die Erwartung, dass die Bundesregierung einen klaren Plan für eine stabilitätsorientierte Währungsunion entwickelt und dies auch frühzeitig und ausführlich mit dem Bundesrat und seinen Ausschüssen diskutiert.


Kontakt

Sächsische Staatsregierung

Regierungssprecher Ralph Schreiber
Telefon: +49 351 564 10300
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E-Mail: presse@sk.sachsen.de
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