Verfassungsschutzbericht 2010

10.05.2011, 14:39 Uhr — Erstveröffentlichung (aktuell)

Innenminister Markus Ulbig stellt den sächsischen Verfassungsschutzbericht 2010 vor

Staatsminister des Innern Markus Ulbig hat heute den Sächsischen Verfassungsschutzbericht 2010 vorgestellt. Der Minister informierte dabei über die Entwicklungstendenzen extremistischer Bestrebungen im Freistaat Sachsen im Jahr 2010. Schwerpunkte der Beobachtung des Verfassungsschutzes waren weiterhin der Rechtsextremismus, im Linksextremismus die Autonomen und im Ausländerextremismus der Islamismus.

Staatsminister Ulbig führte bezüglich der wesentlichen Entwicklungen im Extremismus Folgendes aus:

„Der aktuelle Verfassungsschutzbericht zeigt uns, dass sich die Potenziale der extremistischen Lager kaum verändert haben. Aber die Gewaltbereitschaft ist bei rechts- wie linksextremistischen Akteuren in Sachsen deutlich gestiegen und wird dem Verfassungsschutz auch zukünftig höchste Aufmerksamkeit abverlangen. Ebenso zeigen die alarmierenden Meldungen zum islamistisch-terroristischen Spektrum, die uns im letzten Jahr erreichten, dass Terroranschläge in der Bundesrepublik Deutschland und somit auch in Sachsen nicht ausgeschlossen werden können. Wir müssen auch mit Aktionen fanatisierter Einzelpersonen rechnen, wie der am 2. März 2011 auf dem Frankfurter Flughafen, als zwei US-amerikanische Soldaten bei einem Attentat getötet worden sind.

Eine Hauptsorge im Freistaat gilt nach wie vor dem Rechtsextremismus. Wir müssen weiterhin in eine dauerhafte und vielfältige Aufklärungsarbeit durch gesellschaftliche Kräfte wie durch staatliche Behörden investieren, aber auch konsequent die rechtlichen Instrumentarien nutzen, um dem Rechtsextremismus zu begegnen.

Eine Schlüsselrolle im Rechtsextremismus nimmt die NPD ein. Ihr ist es nach dem nur knappen Wiedereinzug in den Sächsischen Landtag glücklicherweise nicht gelungen, sich neues Wählerpotenzial bzw. neue Anhängerschaft insbesondere unter Jugendlichen zu erschließen. Dies, obwohl es erklärtes Ziel der Partei war, ihre Parolen vom ‚Kampf um die Straße’ und vom ‚Kampf um die Köpfe’ umzusetzen und sich gezielt der Jugendarbeit zu widmen.
Die größte Gruppe innerhalb des sächsischen Rechtsextremismus bildeten 2010 wie im Vorjahr die Neonationalsozialisten in Kameradschaften und als so genannte FREIE KRÄFTE. Die FREIEN KRÄFTE setzten 2010 mit ihren Aktionen die deutlichsten Akzente in der hiesigen rechtsextremistischen Szene. Mit den AUTONOMEN NATIONALISTEN (AN) hat sich eine Aktionsform der FREIEN KRÄFTE etabliert, die sich durch ein hohes Maß an Gewaltbereitschaft auszeichnet.

Besorgniserregend ist die Zunahme sowohl rechts- wie linksextremistisch motivierter Gewalttaten. Dabei war nicht nur ein quantitativer Anstieg zu beobachten, auch die Intensität der Delikte nahm zu. Sachsenweit wurden im Bereich des Rechtsextremismus brutale körperliche Angriffe verübt, bei denen auch unkontrollierbare, gemeingefährliche Mittel eingesetzt wurden. Es gab eine erhebliche Zunahme der von Rechtsextremisten ausgehenden konfrontativen Gewalt gegen den politischen Gegner.
Im Freistaat Sachsen waren 2010 deutlich mehr linksextremistisch motivierte Gewalttaten zu verzeichnen. Sie erreichten in Sachsen den höchsten Stand seit 2005. Die Anzahl linksextremistischer Gewalt überstieg jene im Bereich Rechtsextremismus erheblich. Der Anstieg ist die Folge einer immer härter werdenden Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Gewaltbereite Linksextremisten mobilisieren gezielt zu Ereignissen, die Gelegenheit zu solchen Taten geben. Dazu zählt auch der jährlich im Februar von Rechtsextremisten organisierte Aufzug in Dresden anlässlich der Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg, bei dem die Auseinandersetzungen 2011 eine neue Eskalationsstufe erreicht haben.“

Der Sächsische Verfassungsschutzbericht 2010 enthält vor allem Aussagen zu folgenden Themen:

Rechtsextremismus

Mitgliederpotenzial

Erneut weniger Rechtsextremisten als im Vorjahr / Neonationalsozialisten bleiben das anhängerstärkste Lager

Im Jahr 2010 zählte das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen im Freistaat Sachsen ca. 2.670 Rechtsextremisten gegenüber ca. 2.700 im Vorjahr. Damit setzt sich – allerdings deutlich schwächer als in den früheren Jahren – der Trend fort, nach dem sich das Potenzial der Rechtsextremisten im Freistaat Sachsen stetig verringert. Seit 2006 ist es um ca. 16 % von ca. 3.180 auf ca. 2.670 gesunken.

Rechtsextremisten im Freistaat Sachsen

Während den rechtsextremistischen Parteien im Jahr 2001 noch ca. 1.850 Mitglieder angehörten, waren es 2010 lediglich ca. 820. Das sind nur noch etwas mehr als 30 % des gesamten rechtsextremistischen Personenpotenzials in Sachsen. Im Jahr 2001 hatte es noch 57 % betragen.
Die Mitgliederzahl des sächsischen Landesverbandes der NATIONALDEMOKRATISCHEN PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) blieb mit ca. 800 gegenüber dem Vorjahr konstant.

Neonationalsozialisten im Freistaat Sachsen konnten sich 2010 als das anhängerstärkste Lager des Rechtsextremismus behaupten. Das Gesamtpotenzial der neonationalsozialistischen Szene ist erneut nur marginal und zwar um etwa 2 %, auf ca. 970 Personen angestiegen (2009: ca. 950). Innerhalb dieser Bestrebungen ist der im Vorjahr sichtbar gewordene Trend hin zu fester strukturierten Kameradschaften weiter zu beobachten gewesen. Die Mitgliederzahlen sind auf 240 gestiegen, 2009 waren es 190. Dagegen stagnierte die Anhängerschaft bei den lose strukturierten FREIEN KRÄFTEN. Diesen gehörten ca. 730 Personen an, gegenüber etwa 760 im Jahr 2009.

Rechtsextremistische Parteien

Suche der NPD nach neuen Strategien – entsprechende Aktivitäten des sächsischen NPD-Landesverbandes führten nicht zu einem Mitgliederzuwachs

Nach den von der NPD zu Recht als Rückschlag empfundenen Wahlergebnissen bei der Bundestagswahl 2009 und zur Sächsischen Landtagswahl 2009 waren die Aktivitäten der Partei nicht nur auf Bundesebene von einer Diskussion um neue strategische und taktische Überlegungen geprägt.
Auch der sächsische NPD-Landesverband suchte im Berichtsjahr nach Strategien, um ein größeres Wählerpotenzial anzusprechen. Vor allem die Verluste bei der Wahl zum Sächsischen Landtag 2009 in der Jungwählerschaft sollen durch gezielte Jugendarbeit aufgefangen werden. Stand im Wahljahr 2009 strategisch der „Kampf um die Parlamente“ im Mittelpunkt, so waren es im Berichtsjahr wieder der „Kampf um die Straße“ und der „Kampf um die Köpfe“.

Zugleich bemühte sich die sächsische NPD verstärkt um eine engere Anbindung der rechtsextremistischen Kameradschaftsszene und vor allem der neonationalsozialistischen FREIEN KRÄFTE, welche sich als „außerparlamentarischer Arm der Bewegung“ verstehen. So hat die NPD Objekte für Treffen zur Verfügung gestellt, versuchte die Szene für Großveranstaltungen zu mobilisieren und verkündete den Aufbau von „Schulungszentren“. Die per Internet angekündigte Eröffnung solcher Schulungszentren in Eilenburg und Delitzsch (beide Landkreis Nordsachsen) sollte vor allem der Schulung junger Kader dienen. Solche Schulungen für Mitglieder und Interessenten streben insbesondere die Jungen Nationaldemokraten (JN: Jugendorganisation der NPD) an. Die tatsächliche Existenz der angesprochenen Zentren ist jedoch fraglich.

Die NPD versucht zudem potenzielle Interessenten anzusprechen, ohne den extremistischen Kern ihrer Parteiideologie zu offenbaren. Sie ist deshalb stärker denn je bemüht, den öffentlichen Raum zu besetzen und ringt um Anerkennung.
Entsprechende Bemühungen der NPD waren jedoch bislang nicht erfolgreich. Auch die im Dezember 2010 verkündete Fusion von NPD und DVU, die vom Landgericht München im Januar 2011 in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren für ungültig erklärt worden ist, hat auf die NPD in Sachsen kaum Auswirkungen. Im Freistaat gab es 2010 lediglich noch ca. 20 kaum aktive DVU-Mitglieder.

Neonationalsozialisten

Gesamtpotenzial kaum angestiegen – Verstärkte Bildung von Kameradschaften

Das Gesamtpotenzial der neonationalsozialistischen Szene, die sich noch Mitte der 2000er Jahre rasant entwickelt hatte (von 2004 mit ca. 170 bis 2008 auf ca. 910 Personen), ist wie im Vorjahr nur marginal und zwar um etwa 2 %, auf ca. 970 Personen angestiegen (2009: ca. 950). Innerhalb dieser Bestrebungen ist der im Vorjahr sichtbar gewordene Trend hin zu fester strukturierten Kameradschaften weiter zu beobachten gewesen. Nachdem es 2009 bereits den Ansatz zur Bildung neuer Kameradschaften kam, hat ihre Anzahl 2010 deutlicher zugenommen. Dagegen stagnierte die Mitgliederentwicklung bei den lose strukturierten FREIEN KRÄFTEN. Hintergrund ist, dass Neonationalsozialisten zunehmend anstreben, Teil einer konkret bezeichneten Gruppierung mit klaren Hierarchiestrukturen zu sein. Auch wendet man sich mit der Bildung fester Strukturen gegen die Bemühungen der NPD bzw. der JN, parteiungebundene Rechtsextremisten zu vereinnahmen.

FREIE KRÄFTE verfügen über die Aktionshoheit in der sächsischen rechtsextremistischen Szene

Die in losen Strukturen agierenden FREIEN KRÄFTE verfügten auch im Berichtsjahr über die Aktionshoheit in der rechtsextremistischen Szene in Sachsen. Mit einem der NPD vergleichbaren Personenpotenzial und ähnlicher regionaler Verteilung gelingt es den FREIEN KRÄFTEN im Gegensatz zur NPD häufiger, mit Aktionen öffentlichkeitswirksam in Erscheinung zu treten.
Zusammen mit den Mitgliedern neonationalsozialistischer KAMERADSCHAFTEN organisieren sie die immer zahlreicher werdenden „spontanen“, unangemeldeten Demonstrationen. Die Szene verfolgt diese Strategie insbesondere nachdem am 17. Oktober 2009 die Durchführung einer angemeldeten Demonstration in Leipzig gescheitert war. Im Jahr 2010 überstieg deshalb der Anteil der Spontandemonstrationen deutlich den der angemeldeten. Dabei wird die Erreichung zweier Ziele angestrebt: Einerseits fördern Demonstrationen das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der lose strukturierten rechtsextremistischen Szene, andererseits hofft man auf eine medienwirksame Selbstinszenierung.
Nach wie vor ist das Verhältnis zwischen den FREIEN KRÄFTEN und der NPD von Spannungen geprägt. Dem steht nicht entgegen, dass auch 2010 anlassbezogen eine Zusammenarbeit beobachtet werden konnte. Beispielsweise wurden die beiden Demonstrationen am 1. Mai 2010 in Zwickau und in Hoyerswerda (Landkreis Bautzen) von beiden Lagern besucht. Offensichtlich ist das Bewusstsein dafür gestiegen, dass man im Zusammenhang mit Aktivitäten in der Öffentlichkeit aufeinander angewiesen ist. Die NPD kann auf eine gut ausgebaute Logistik zurückgreifen, benötigt aber die FREIEN KRÄFTE als Mobilisierungspotenzial, da die eigenen Mitglieder nicht über die gleiche Aktionsbereitschaft verfügen.
Die Differenzen zwischen beiden Lagern zeigen sich auch in den Bemühungen der sächsischen JN, die losen Strukturen der FREIEN KRÄFTE 2010 auf Veranlassung der NPD verstärkt in ihre Organisation einzubinden. Einzelne führende Angehörige der FREIEN KRÄFTE sind seit längerer Zeit in der NPD/JN integriert und sind dort u. a. auch Funktionsträger oder nehmen Kommunalmandate für die NPD wahr. Allerdings wollen die FREIEN KRÄFTE überwiegend die Bindung an eine Partei vermeiden. Erschwert werden die Integrationsbemühungen zudem von Teilen der JN selbst, die sich als elitäre Struktur sehen und die die FREIEN KRÄFTE nicht um jeden Preis an sich binden wollen. So ist der im Jahr 2010 zu beobachtende Trend hin zur Bildung fester neonationalsozialistischer Strukturen als Versuch zu werten, den Rekrutierungsbemühungen der JN zu entgehen.

Etablierung von AUTONOMEN NATIONALISTEN

Als Sonderform der FREIEN KRÄFTE haben sich die AUTONOMEN NATIONALISTEN (AN) etabliert. Im Freistaat Sachsen treten sie hauptsächlich als Aktionsform von lokalen Strukturen der FREIEN KRÄFTE in Erscheinung. Nur vereinzelt bilden sie eigene Organisationen. Die Anzahl der AN ist 2010 in Sachsen gegenüber dem Vorjahr deutlich von ca. 20 auf ca. 50 Personen angestiegen (2009 bundesweit: ca. 800). Sie favorisieren bei ihren Aktivitäten vor allem solche, die als aktionsorientierte Gemeinschaftserlebnisse wahrgenommen werden (z. B. die Teilnahme an Demonstrationen). Sie zeichnet zudem ein hohes Maß an Gewaltbereitschaft aus.
In der Aktions- und Erscheinungsform als AUTONOME NATIONALISTEN öffnen sie sich neuen Zeitgeistformen, werden so für Jugendliche attraktiv und bieten diesen einen unkomplizierten Einstieg in das neonationalsozialistische Gedankengut.

Rechtsextremistische Musikszene in Sachsen auf hohem Niveau aktiv

Im Jahr 2010 waren mindestens 29 sächsische rechtsextremistische Musikgruppen bzw. Bandprojekte aktiv (2009: 30). Die Anzahl rechtsextremistischer Konzerte bewegte sich im Freistaat Sachsen 2010 weiterhin auf einem hohen Niveau. Mit 48 geplanten und bekannt gewordenen rechtsextremistischen Konzerten wurde der höchste Stand der letzten fünf Jahre verzeichnet. Von diesen 48 Konzerten wurden 41 Veranstaltungen durchgeführt. Die durchschnittliche Teilnehmerzahl lag bei ca. 150 Personen pro Konzert.

Rechtsextremistische Konzerte im Freistaat Sachsen

Durchschnittliche Teilnehmerzahl pro Konzert

Neue Medien

Moderne Kommunikationsmittel wie das Internet oder internetfähige Mobiltelefone gewinnen im Rechtsextremismus an Bedeutung. Neben eigenen Onlinestrukturen mit Homepages und Diskussionsforen greift die rechtsextremistische Szene zwecks Selbstdarstellung, Vernetzung und Propaganda verstärkt auf unpolitische Communities wie Myspace, Facebook und Youtube zurück. Mittels des Kurznachrichtenportals Twitter mobilisieren Rechtsextremisten ihre Anhänger kurzfristig für die immer zahlreicher stattfindenden Spontanaktionen.

Im Internet finden sich zudem zunehmend Radioangebote, deren Programme rechtsextremistische Inhalte insbesondere über entsprechende Musik verbreiten. Die relative Anonymität des World Wide Web und das unkomplizierte Betreiben eines solchen Radios machen dieses Medium zur idealen Plattform. Dabei sind die gesendeten Beiträge häufig straf- oder jugendschutzrechtlich relevant, so dass u. a. die Strafverfolgungsbehörden einschreiten. Zu beobachten war auch, dass die Betreiber von Internetradios ihre Projekte immer häufiger mit gleichnamigen Online-Versandgeschäften koppeln, deren Angebote auf die rechtsextremistische Szene ausgerichtet sind.

Rechtsextremismus im Umfeld des Sports

Rechtsextremisten nutzen sportliche Großveranstaltungen weiterhin für ihre Zwecke. Sie versuchten anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2010 unter Fußballfans, Szenenachwuchs zu rekrutieren. Die NPD verbreitete dabei Propaganda-Material: z. B. einen Aufkleber „DEUTSCHLAND WELTMEISTER DER HERZEN“. Nach wie vor kann der Erfolg solcher Kampagnen nicht belegt werden.

Erfolgreich sind offenbar Bemühungen, Jugendliche mittels szeneinterner Sportveranstaltungen zu binden. Verschiedene rechtsextremistische Gruppierungen und Organisationen veranstalten z. B. Fußballturniere, um den Zusammenhalt der Szene zu stärken und sich ggf. gegenüber potenziellem Nachwuchs als attraktiv zu präsentieren.

Neben dem Fußball gewinnt aber auch das Betätigungsfeld „Kampfsport“ an Bedeutung. Kampfsport ist in der rechtsextremistischen Szene populär und hat eine integrierende Funktion. Entsprechende Veranstaltungen können für Szeneangehörige Ansporn sein, Techniken zu erlernen, um diese bei gewalttätigen Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner anzuwenden.

Wie bereits in den zurückliegenden Jahren kam es auch 2010 anlässlich von Fußballspielen immer wieder zu rechtsextremistischen Parolen und zur Verwendung von Symbolen mit rechtsextremistischem Hintergrund. Zudem ist eine beachtliche Anzahl von Personen, die als Rechtsextremisten bekannt sind, durch ihre Gewaltbereitschaft im Zusammenhang mit Sportereignissen aufgefallen. Der Anteil von Rechtsextremisten am gewaltbereiten Fußballfanpotenzial betrug 2010 im Freistaat Sachsen etwa 13%.

Linksextremismus

Mitgliederpotenzial leicht angestiegen

Die Anzahl der Personen, die im Freistaat Sachsen linksextremistischen Bestrebungen zugerechnet werden, ist von ca. 740 im Jahr 2009 auf ca. 750 Personen im Berichtsjahr nur leicht gestiegen. Der Aufwärtstrend der vergangenen Jahre setzte sich damit auch im Berichtsjahr fort. Er verlangsamte sich jedoch weiter.
Das größte Potenzial innerhalb der linksextremistischen Bestrebungen im Freistaat Sachsen bilden unverändert die AUTONOMEN. Bei der autonomen Szene ist seit 2004 ein stetiger Anstieg des Potenzials zu verzeichnen. Im Berichtsjahr konnten der sächsischen autonomen Szene ca. 370 Personen zugerechnet werden (2009: ca. 360).

Die Gesamtzahl der Mitglieder bei den linksextremistischen Parteien und innerparteilichen Zusammenschlüssen sank im Berichtsjahr erneut um ca. 4 % auf 250 Personen (2009: ca. 260).

Linksextremisten im Freistaat Sachsen

AUTONOME

Die AUTONOMEN prägten auch im Jahr 2010 das Erscheinungsbild des Linksextremismus im Freistaat Sachsen.

Aggressionsniveau der autonome Szene steigt weiter

Die auffälligste Entwicklung zeigte sich bei den der gewaltbereiten autonomen Szene zuzurechnenden Gewalttaten. 2010 wurden deutlich mehr linksextremistische Gewaltstraftaten festgestellt als 2009. Bereits im August 2010 wurde im Freistaat Sachsen der Vorjahresstand eingeholt. Insgesamt beläuft sich die Zahl der polizeilich registrierten diesbezüglichen Gewaltstraftaten auf 128. Dies ist der höchste Stand seit 2005.
Die Zunahme der Gewalttaten ist Folge einer immer schärfer geführten Auseinsandersetzung mit dem politischen Gegner und einer stärkeren Mobilisierung gewaltbereiter Linksextremisten zu Ereignissen, die Gelegenheit zu solchen Taten geben. Tatumfeld der Gewalttaten sind in der Regel Demonstrationen. In erster Linie handelt es sich bei den festgestellten Gewalttaten um Widerstandshandlungen und Körperverletzungsdelikte, die u. a. auch gegen Polizisten gerichtet waren.

Militante Aktionen sind in autonomen Szeneblättern thematisiert worden, indem man einerseits Herstellungsanleitungen für Brandsätze etc. veröffentlichte und andererseits der Diskussion von gewaltbeinhaltenden Aktionsformen ein Podium bot. Im Mittelpunkt dieser Debatte, an der sich in den Vorjahren auch sächsische AUTONOME beteiligt hatten, steht nicht die Frage nach der grundsätzlichen Rechtfertigung des Einsatzes von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele – diese wird in der autonomen Szene vorausgesetzt –, sondern die Begründung konkreter Aktionen, deren Vermittelbarkeit und Einbindung in politische Kampagnen.

Öffentlichkeitswirksam tritt die sächsische autonome Szene vor allem mit Aktionen gegen rechtsextremistische Demonstrationen in Erscheinung. Die gegen den alljährlichen Aufzug von Rechtsextremisten im Zusammenhang mit dem Jahrestag der alliierten Luftangriffe auf Dresden am 13. Februar 1945 gerichteten Proteste haben sich für die Szene zwischenzeitlich zu einem Großereignis von bundesweiter Bedeutung entwickelt.

„Antifaschismus“ – das Hauptaktionsfeld der sächsischen Autonomen

Wie bereits in den vergangenen Jahren stand auch im Berichtszeitraum wieder das Aktionsfeld „Antifaschismus“ im Mittelpunkt der Aktivitäten der sächsischen AUTONOMEN. Der Kampf gegen „Rechts“ erschöpft das Aktionspotenzial der autonomen Szene in Sachsen weitgehend. Andere Themen nehmen einen deutlich geringeren Stellenwert ein. Im Rahmen des Bemühens um autonome „Freiräume“ ereigneten sich im Berichtszeitraum mehreren Hausbesetzungen, die jedoch nur von kurzer Dauer waren.

Linksextremistische Parteien

Im Freistaat Sachsen sind linksextremistischen Parteien, bzw. linksextremistische Strömungen innerhalb von Parteien nach wie vor von untergeordneter Bedeutung. Mitgliederstärkste Organisation war auch 2010 die KOMMUNISTISCHE PLATTFORM DER PARTEI DIE LINKE (KPF). Ihr gehörten in Sachsen wie im Vorjahr etwa 160 Personen an.

Jahrestag der Zerstörung Dresdens ist gleichermaßen von zentraler Bedeutung für Rechts- und Linksextremisten

Bei dem seit 1999 in Dresden jährlich von Rechtsextremisten organisierten Trauermarsch anlässlich der Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg handelt es sich nicht nur um die inzwischen bundesweit größte Veranstaltung der Rechtsextremisten. Sie hat sich auch für die linksextremistische – insbesondere für die gewaltbereite autonome Szene – zu einem Großereignis von bundesweiter Bedeutung entwickelt.
Die Ereignisse im Berichtsjahr bildeten insoweit eine Zäsur für die Rechtsextremisten, da ihnen erstmals kein Aufzug durch die Innenstadt von Dresden möglich war. Auf Grund von massiven Blockaden der Demonstrationsgegner war die Durchführung einer Versammlung nur noch als Standkundgebung möglich. Lediglich eine Kundgebung an Ort und Stelle durchführen zu können, konnte von den Rechtsextremisten nur als Niederlage empfunden werden. Dies war auch ursächlich dafür, dass es zu Gewalttaten kam, an denen insgesamt mehr Personen beteiligt waren als in den Jahren zuvor.

Die Mobilisierung zu Gegenaktivitäten gegen den rechtsextremistischen Aufmarsch in Dresden wird immer stärker durch bundesweite Aktionsbündnisse bestimmt, in denen Autonome mit Nichtextremisten wirken. Obwohl eingebunden in solche Bündnisse, handeln Autonome zunehmend gewalttätig. Das zeigte sich am 13. Februar 2010, als das „massenhaft militante Agieren von autonomen AntifaschistInnen“ (s. ANTIFASCHISTISCHES INFOBLATT, AUSGABE 1/2010, S27, Beitrag „Dresden stellt sich quer“ des ANTIFA RECHERCHE-TEAM DRESDEN.) im Umfeld der Blockaden zu einer massiven Verschärfung der Lage führte. Es kam zu Angriffen auf anreisende Rechtsextremisten und deren Busse sowie zu Auseinandersetzungen zwischen Anhängern beider Lager. Etwa 300 Personen griffen zudem die Polizei mit Holzlatten und Steinen an. An anderer Stelle überrannten mehrere hundert AUTONOME eine Polizeikette und verletzten Beamte. Außerdem kam es zu Sachbeschädigungen, der Bahnverkehr ist mehrfach durch Gleisbesetzungen behindert worden und durch Unbekannte wurde kurzzeitig der Zugverkehr im Stadtgebiet unterbrochen, indem sie am Rande der Bahnstrecke den Dachstuhl eines leer stehenden Hauses in Brand gesetzt hatten. Nach Einschätzung der Polizei beteiligten sich am 13. Februar insgesamt etwa 3.000 gewaltbereite Linksextremisten an den Aktionen, darunter ca. 1.000 unmittelbar gewalttätige Personen. Im Vergleich zu den Protesten im Jahr 2009 begingen Linksextremisten 2010 deutlich mehr Gewalttaten.

Islamismus bzw. islamistischer Terrorismus und sonstiger Ausländerextremismus

Anstieg des Mitgliederpotenzials

Im Freistaat Sachsen gehörten 2010 ca. 380 Personen ausländerextremistischen Organisationen an. Ihre Zahl ist gegenüber dem Vorjahr (2009: ca. 360) leicht angestiegen.

Ausländerextremisten im Freistaat Sachsen
Hohes Sicherheitsrisiko für die Bundesrepublik Deutschland und ihre Interessen

Der internationale islamistische Terrorismus ist seit mehreren Jahren die größte Bedrohung für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und darüber hinaus der gesamten internationalen Staatengemeinschaft. Davon zeugen zahlreiche Ermittlungsverfahren und Exekutivmaßnahmen der Sicherheitsbehörden, gewonnene Erkenntnisse über Anschlagsplanungen und die regelmäßig über verschiedene Medien verbreiteten Veröffentlichungen aus dem islamistisch-terroristischen Spektrum. Angehörige dieses Personenkreises in Deutschland reisten auch 2010 in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet, um sich einer terroristischen Ausbildung zu unterziehen oder an Kampfhandlungen in diesem Gebiet teilzunehmen. Auf Grund ihrer Radikalisierung sind diese Personen ein hohes Sicherheitsrisiko für Deutschland und seine Interessen im Ausland. In der zweiten Jahreshälfte 2010 verschärfte sich die Bedrohungslage wie auf Grund einiger den Sicherheitsbehörden bekannt gewordener Hinweise auf Anschlagsplanungen von AL-QAIDA gefolgert werden konnte. Im Zielspektrum standen dabei insbesondere Orte mit hoher Symbolkraft und Infrastrukturbereiche. Ende Oktober wurden in Großbritannien und Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) in Frachtflugzeugen Sprengsätze in Paketen aufgefunden, die an Ziele in den USA adressiert waren. Ihr Ursprungsort war der Jemen. Einer der Sprengsätze war zuvor auf dem Flughafen Köln-Bonn umgeladen worden. Zu den Anschlagsversuchen bekannte sich im Internet die Gruppe AL-QAIDA AUF DER ARABISCHEN HALBINSEL (AQAH).

Internet – wichtigstes Kommunikations- und Propagandamedium

Das Internet ist nach wie vor das wichtigste Kommunikations- und Propagandamedium.
Islamisten dient es zur Verbreitung ihrer Ideologien, gewaltbereiten Islamisten zudem zum Aufruf zum Jihad. Online-Magazine, Gewalt verherrlichende Audios und Videos sowie Texte in jihadistischen Internetportalen haben entscheidenden Einfluss auf individuelle (Selbst-) Radikalisierungsprozesse. Entsprechende Verlautbarungen wurden 2010 zunehmend auch in deutscher Sprache im Internet veröffentlicht.

Lage im Freistaat Sachsen

Obwohl im Freistaat Sachsen bisher keine Strukturen islamistischer Terrororganisationen bekannt sind, gilt die Gefährdungslage für die Bundesrepublik Deutschland auch hier. Anschläge konspirativ agierender Terrorzellen oder fanatisierter Einzeltäter – ob zentral gesteuert oder autonom agierend – können daher nicht ausgeschlossen werden. Konkrete Hinweise liegen trotz intensiver Aufklärungsmaßnahmen der Sicherheitsbehörden für den Freistaat Sachsen nicht vor.

Salafismus

Der Salafismus heutiger Prägung ist eine Variante des Islamismus und die gegenwärtig vermutlich am schnellsten wachsende islamistische Strömung. Er bezeichnet eine politische Ideologie, die sich in Glaube und Lebenspraxis am Frühislam des 7. Jahrhundert orientiert. Dabei gelten der Koran, das Leben des Propheten Muhammad (Sunna) sowie das Vorbild der ersten drei Generationen der Muslime, der so genannten „lauteren Vorfahren“ (al-salaf al-salih), als einzig gültiger Maßstab für eine islamisch-korrekte Lebensweise. Sämtliche Abweichungen von diesen gesetzten Normen gelten als unerlaubte Neuerungen und Verfälschungen des Islam und werden kategorisch abgelehnt.
Der Salafismus kann zudem den geistigen Nährboden für eine Radikalisierung hin zum Terrorismus bilden. Das religiöse ideologische Fundament von Jihad befürwortenden Gruppen wie der AL-QAIDA und ihr angegliederten Organisationen ist letztlich dem salafistischer Bestrebungen sehr ähnlich.

Im Freistaat Sachsen wurden im Berichtsjahr öffentlichkeitswirksame Aktivitäten salafistischer Bestrebungen zumeist im Raum Leipzig registriert.
Zentrum für die Verbreitung der salafistischen Ideologie in Sachsen ist der Verein ISLAMISCHE GEMEINDE IN SACHSEN – AL-RAHMAN-MOSCHEE e. V., bei dem es sich um eine extremistische Bestrebung im Sinne des sächsischen Verfassungsschutzgesetzes handelt.

PKK – kein öffentliches Auftreten mehr im Freistaat Sachsen

Im Freistaat Sachsen sind die öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der PKK-Anhänger seit Jahren rückläufig. Die Anhängerzahl wird gegenwärtig auf etwa 150 Personen geschätzt. Seit 1995 wurden hier YEK-KOM-Vereine in Dresden, Leipzig und Zwickau gegründet. Derzeit existiert nur noch der Verein KURDISCHES HAUS LEIPZIG e. V.

Spionageabwehr

Ausländische Nachrichtendienste, vor allem chinesische und russische, sind in der Bundesrepublik Deutschland weiterhin aktiv. An ihren Zielrichtungen hat sich gegenüber dem Vorjahr nichts geändert. Im Fokus fremder Nachrichtendienste stehen weiterhin die Ausspähung hiesiger politischer Entscheidungsträger sowie die Beobachtung in Deutschland lebender Oppositioneller aus den jeweiligen Ländern. Daneben sind die Bereiche Wirtschaftsspionage, illegaler Wissenstransfer und Proliferation von besonderem Interesse.
Um über die Ziele und Arbeitsweisen fremder Nachrichtendienste aufzuklären, hat das LfV Sachsen 2010 Kontakt zu Behörden, Wirtschaftsunternehmen, Forschungseinrichtungen, Verbänden und Privatpersonen aufgenommen. Die Sensibilisierung und Aufklärung über Gefahren und Methoden fremder Nachrichtendienste sowie die Information über mögliche Gegenmaßnahmen sind das effektivste Mittel zur Abwehr von Spionageaktivitäten. Der Fokus ist dabei auf kleine und mittelständische innovative Unternehmen gerichtet.

Straftaten mit extremistischem Hintergrund

Der rückläufige Trend des Vorjahres setzte sich im Jahr 2010 bei der Anzahl aller Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund fort. Diese sanken um ca. 8 % auf 1.808 Delikte (2009: 1.969).
Allerdings stieg demgegenüber die Anzahl der Gewaltdelikte mit rechtsextremistischem Hintergrund um ca. 17 % auf 98 an (2009: 84). Damit stieg der Anteil der Gewalttaten an den Gesamtstraftaten auf ca. 5 % an (2009: etwa 4%).

Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund

Die zunehmende Gewaltausübung war nicht nur quantitativ zu beobachten; auch die Qualität der Delikte entwickelte sich hin zur Verübung von schwereren Straftaten. So stieg im Jahr 2010 die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Brandstiftungen erheblich auf 13 an (2009: 1). Außerdem wurden zwei Gewaltdelikte als versuchte Tötungsdelikte eingeordnet.
Zudem war eine erhebliche Zunahme der von Rechtsextremisten ausgehenden konfrontativen Gewalt zu verzeichnen. Waren 2006 noch 39 % der rechtsextremistischen Gewalttaten gegen den politischen Gegner gerichtet, betrug dieser Anteil 2010 mit 58 % deutlich mehr als die Hälfte aller Gewaltdelikte.

Die Anzahl der Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund ging im Jahr 2010 leicht um ca. 6 % auf 480 Delikte zurück (2009: 511). Die Anzahl der Gewaltdelikte mit linksextremistischem Hintergrund erhöhte sich hingegen deutlich um ca. 44 % auf 128 Fälle (2009: 89). Damit stieg der Anteil der Gewalttaten an den Gesamtstraftaten auf ca. 27 % an (2009: ca. 17 %).

Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund

Ein Großteil der Straftaten wurde im Zusammenhang mit linksextremistischen Aktivitäten gegen Demonstrationen von Rechtsextremisten verübt. Von den 480 Straftaten standen 228 im Zusammenhang mit Demonstrationen (2009: 134). Der Anteil dieser Straftaten lag im Berichtsjahr damit bei ca. 48 % (2009: ca. 26 %). Bei 88 dieser Straftaten handelte es sich um Gewaltdelikte (2009: 59). Damit stieg der Anteil der im Zusammenhang mit Demonstrationen verübten Gewaltdelikte an der Gesamtzahl der linksextremistisch motivierten Gewaltstraftaten auf ca. 69 % (2009: ca. 66 %).
Der bereits im Vorjahr festgestellte Anstieg der linksextremistisch motivierten Brandanschläge setzte sich im Jahr 2010 fort.
Während sich im Jahr 2009 eine Reihe von Brandanschlägen gegen Reviere und Einsatzfahrzeuge der Polizei richteten, geriet im Berichtsjahr zumeist der politische Gegner in den Fokus.

Im Jahr 2010 wurden drei Straftaten (2009: 10) mit ausländerextremistischem Hintergrund festgestellt, darunter ein Gewaltdelikt (2009: 3). Mit diesem Rückgang wurde wieder das niedrige Niveau aus dem Jahr 2008 erreicht.


Kontakt

Sächsisches Staatsministerium des Innern

Ansprechpartner Martin Strunden
Telefon: +49 351 564 30400
Telefax: +49 351 564 30409
E-Mail: presse@smi.sachsen.de
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